Die Bodenlosigkeit des Geredes versperrt ihm nicht den Eingang in die Öffentlichkeit, sondern begünstigt ihn. Das Gerede ist die Möglichkeit, alles zu verstehen ohne vorgängige Zueignung der Sache.“ (Martin Heidegger)
Es fällt zunehmend schwer, „Talkshows“ in der Form politischer Unterhaltungssendungen ernsthaft zu folgen. Das Spektakel, unter dem maßgebenden Einfluss der Einschaltquote verfasst, soll alleine möglichst schnell, möglichst viele ZuschauerInnen „dafür oder dagegen“ mobilisieren. Das bewusste aufeinander prallen lassen subjektiver Überzeugungen, das Schüren von Halbwissen, der Wettstreit populärer Meinungen und die abschließende Definition des kleinsten gemeinsamen Nenners lassen wenig Raum für eine echte Beschäftigung mit dem Thema. Es ist kein Zufall, dass bei dieser Präsentationstechnik grundsätzlich dem Moderator (über den der Staat wacht) Autorität und gütige Aufsicht zufällt.
Im Falle der Islamdebatte betrübt mich in erster Linie das Gefühl, dass viele interessierte EuropäerInnen sich von der eigentlichen Frage nach dem Islam abwenden könnten. Das Mißverständnis liegt auf der Hand: es könnte der nachdrückliche Eindruck entstehen, als sei der Islam mit bizarren Einzelfällen, Marginalien, dem Kopftuch oder dem Bau eines Minaretts bereits ausreichend erklärt. Es fällt auf, dass grundsätzlich nur diese marginalen Fragestellungen überhaupt in den öffentlichen Raum Einzug finden. Eine aktuelle „Hart aber Fair“ Sendung, die die Haltung des „Islam zur Finanzkrise“ klärt, kann daher getrost als denkunmöglich eingestuft werden.
Sendungen wie „Hart aber fair“ sind schon deswegen intellektuell auf Sand gebaut, weil sie die Frage, „was der Islam überhaupt ist“, weder klären können, noch klären wollen. Das Format soll und kann sich gerade nicht die Zeit nehmen, zunächst zu klären, was der Islam ist, um dann sagen zu können, was er nicht ist. Auf dieser Grundlage können dann auch bizarre Einzelfälle („ein Muslim der trinkt“, „ein Muslim der schlägt“) beliebig und ohne tieferen Sinn mit dem Phänomen, wenn man es will auch mit dem Problem Islam („wie steht der Islam zum Alkoholproblem?“, „zur Gewalt?“) assoziiert werden.
Genauso wenig müssen natürlich auch andere Gesprächsteilnehmer erklären, was denn die „Schweiz“, die „Türkei“ oder der „Iran“ im Zeitalter der Globalisierung heute wirklich noch ausmacht, was ihre Definition von „Rassismus“ oder „Kultur“ ist. Das Wesen des politischen Urteils ist das Vermögen zur „Unterscheidung“, wie soll man aber unterscheiden, wenn man nicht weiß, worüber man spricht? Man müsste wohl in Deutschland mit abenteuerlichen Ergebnissen rechnen, wenn auf dieser Grundlage Volksabstimmungen, wie „Wollen wir Minarette?“ üblich würden. Wer schützt uns dann künftig vor absehbaren Abstimmungen, wie „wollen wir Muslime, Romas oder sonstige Minderheiten“ im Lande? Kein Wunder, dass der Fürsprecher dieses populistischen Verfahrens in der Sendung ein Vertreter der Medienmacht selbst war.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Islam grundsätzlich in ungeordneten Mischformen präsentiert wird. So wird die Türkei, ein säkularer Staat, der Minarette akzeptiert, aber die islamische Lehre über Jahrzehnte bekämpft hat, flugs mit dem Islam gleichgesetzt. Genauso unsinnig wäre es, ein türkischer Verband, der nationalistische, kulturelle und islamische Elemente integriert, mit dem Islam vorschnell gleichzusetzen. Einige Mühe macht auch im Leben einer türkischen Gastarbeiterfamilie (er auf dem Bau, sie bei Lidl) nationalistische, patriacharchische, bürgerliche, islamische und kulturelle Elemente in ihrer Lebensführung zu unterscheiden. Einfacher ist es dann zu sagen, diese Familie und ihre – oft völlig unreflektierten – Verhaltungen, seien angeblich alle dem „Islam“ geschuldet.
Wer sich mit dem Islam wesentlicher beschäftigen will, wird zunächst authentische Quellen suchen müssen und dann schnell auch die wesentlicheren Fragestellungen erkennen: Was ist der Sinn von Sein? Wie kann man eine Einheitslehre säkularisieren, ohne sie zu zerstören? War Rumi ein Islamist? Wie ist das Verhältnis von Recht und Politik im Islam zu bestimmen? Gibt es eine ökonomische Alternative zum Kapitalismus? Wie verhält sich der Islam zur Frage der Technik, sei es die beherrschende Finanztechnik oder die zynische Idee einer „islamischen“ Atombombe? Inwieweit mutiert der demokratische, globale Kapitalismus selbst zu einem totalitären System?