„Jede Folgerung, die wir aus unseren Beobachtungen ziehen, ist meistens voreilig: Denn hinter den wahrgenommenen Erscheinungen gibt es solche, die wir undeutlich sehen, und hinter diesen wahrscheinlich noch andere, die wir überhaupt nicht erkennen.“ (Gustave Le Bon- Psychologie der Massen)
Die Europawahlen schaffen ihre eigenen Blüten. Wie bei kaum einer anderen Wahl, hat auch der politisch Interessierte Schwierigkeiten, auch nur eine pragmatische Forderung irgendeiner Partei zu artikulieren. Der Wahlkampf der Parteien wird günstig gehalten, der Wettbewerb bleibt bescheiden, sogar die schlichten Wahlkampfslogans sind parteiübergreifend sinnlos. Im Ergebnis scheint jeder Partei ein ansehnlicher Obulus zur nationalen Parteienfinanzierung zu bleiben und, nebenbei sozusagen, einige Karrieremöglichkeiten für altgediente Parteisoldaten in Brüssel, die zu Hause eher im Weg stünden.
Erstaunlich ist auch die geringe Wahlbeteiligung, die damit erklärt wird, dass WählerInnen lustlos seien oder am Wahltag lieber spazieren gingen. Kein Gedanke, dass die Nicht-Wähler, mangels erkennbarer Inhalte, bewusst eine machtvolle Nicht-Partei gebildet haben, deren politischer Inhalt es ist, nicht motiviert zu sein, irgendeine Partei zu wählen. Skurril sind die angebotenen Auswege der Wahlverlierer, die sich besonders gern auf die These der allgemeinen Unlust berufen.
Technik könnte wie immer helfen. So denkt etwa SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz an die Einführung von Internetwahlen, aber nur, „wenn es eine sichere Übertragung gibt“. Ähnlich wie virtuelles Geld, das nur noch aus Impulsen besteht, würden so Willensentscheidungen über die Datenautobahn nach Brüssel geleitet. Alte Schule gibt es auch. SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen fordert in der BILD „50 Euro Strafzettel“: „Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen – das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen. Wer nicht zur Wahl geht, sollte künftig 50 Euro Strafe zahlen.“
Bei der Bundestagswahl soll die Mobilisierung aber besser werden. Zwar werden de facto immer mehr nationale Entscheidungen an die monarchischen Strukturen in Brüssel deligiert, aber in eigener nationaler Sache gehen die Wähler beim Wahlspektakel noch besser mit. Die Kunst der Manipulation wird dabei immer wichtiger und überlagert die auf Sand gebauten programmatischen Inhalte. Wo Politik nicht mehr tief geht, kann bereits ein gut gewähltes Wort wie „Change“ die Massen in die gewünschte Richtung bewegen.
„Mind Control“ ist in der Moderne längst ein wichtiger Aspekt der politischen Wissenschaft geworden. Derren Victor Brown hat mit der TV-Serie „Mind Control“ auf dem britischen Sender Channel 4 weltweiten Ruhm erlangt. Brown selbst sagt, er bediene sich sowohl der Magie, Suggestion, Psychologie, der Täuschung als auch der findigen Präsentation. Während seiner Shows verwendet Brown eine Mischung verschiedener Techniken, um die Gedanken seiner Mitmenschen zu erahnen oder zu beeinflussen.
Auf YouTube finden sich eine ganze Reihe zeitgemäßer Beispiele der Manipulation. So ist Brown zum Beispiel in der Lage, einen ungültigen Wettschein gegen bares Geld einzulösen, „paying with paper“ – mit bloßem Papier (!) zu bezahlen, in einem Supermarkt alle Konsumenten zu einer unheimlich wirkenden, gleichzeitigen Reaktion zu verführen oder einen wildfremden Mann dazu zu veranlassen, ihm ohne Widerwillen seine Wertgegenstände auszuhändigen. Auch schafft er es, einige Geschäftsleute so zu beeinflussen, dass sie am Ende dazu bereit sind, einen bewaffneten Überfall zu begehen.