50 Jahre Immigration in Deutschland. Unter diesem Titel wurde in Berlin der Immigrationsgeschichte der Türken in der Bundesrepublik gedacht. Ein kleines banales Schriftstück aus dem Jahr 1961 war die Grundlage des Zuzugs. Ich bin beinahe dreißig Jahre später vielen Türken der ersten Stunde in ihren kleinen Moscheen begegnet, oft genug beeindruckt, wie man sich hier mit so wenig Deutsch durchschlagen konnte, aber auch bewegt von einmaliger Herzlichkeit ohne große Worte.
Heute gehören die zugezogenen Türken zu Deutschland, sind oft genug deutsche Staatsbürger und eine neue Generation kann man kaum von gleichaltrigen Deutschen unterscheiden. Ihre natürliche Zugehörigkeit zu Deutschland steht außer Frage. Wer Deutsch spricht und hier geboren ist, ist auch Deutscher, wenn er denn will. Oft sind die Ideale dieser junger Türken bürgerlicher und konservativer als man denkt. Zweifellos hat die Bundesrepublik auch große Leistungen im Sozial- und Bildungsbereich für ihre neuen Bürger erbracht.
Viele türkischstämmige Unternehmer repräsentieren heute nicht nur Erfolgsgeschichten, sonder gerade im Erfolg sind diese Pioniere auch dankbar gegenüber ihrer neuen Heimat, die den Aufstieg ja ermöglicht hat. Ich war im Vergleich mit dem politischem Islam und seiner Bürokratie von jeher mehr beeindruckt von den Leistungen des ökonomischen Islam. Das Gezänk über die richtigen Worte, ob „Integration“ oder „Partizipation“, wirkt auf mich eher weltfremd.
Natürlich gibt es auch Gräben. Ich ging einige Jahre selbst in eine türkische Moschee und war doch, von einigen Freunden und meinen eigenen Söhnen abgesehen, der einzige Deutsche weit und breit. Das „Kulturzentrum“ im Gewerbegebiet hatte zwar seinen Tag der offenen Tür, konnte aber mangels einer gemeinsamen Sprache kaum Brücken schlagen zur deutschen Mehrheitsgesellschaft. Neue Moscheen in den Innenstädten, die idealerweise nicht aussehen, als wären sie für das Stadtbild Bagdads oder Riads gebaut, könnten hier erfolgreicher sein.
Ein bedenkliches Missverständnis birgt die aktuelle Kulturdebatte, da es wirkt, als wäre der Islam und die „türkische“ Kultur ein und das Selbe. Der Islam filtert Kulturen, ist aber selber keine. Natürlich kann man kulturell gesehen ein Deutscher und ein Muslim sein, so wie man kulturell gesehen ein Türke sein kann, aber deswegen noch lange kein praktizierender Muslim sein muss. In den Hochphasen des Islam hatten die Muslime keine Schwierigkeiten, sich kulturell anzupassen.
Am Abend des Galadinners im Berliner Tempodrom, an dem ich teilnehme, fehlt mir dann auch, wenn ich ehrlich bin, ein wenig Beethoven oder ein anderes Zeichen der kulturellen Wertschätzung der neuen Heimat. Andererseits ist beeindruckend zu sehen, wie beliebt der türkische Premierminister nach wie vor ist. Politiker, denen die Herzen zufliegen, sind hierzulande ja eine seltene Erscheinung geworden.
Natürlich hat die Bundeskanzlerin absolut Recht, wenn sie deutsche Sprachkenntnisse von Ihren Bürgern einfordert. Nach beinahe vier Generationen, die hier ja leben, sollte dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Dass zuziehende Ehepartner auch ein wenig Deutsch sprechen sollten, ist auch nichts, wogegen sich der gesunde Menschenverstand wehren muss. Die Idee der doppelten Staatsbürgerschaft muss sich eben auch gegen den Argwohn verteidigen, dass es sich hier nur um eine wechselnde Solidarität je nach ökonomischer Lage handelt.
Ein fataler Fehler dagegen ist das Auslassen einer historischen Chance, die Frau Merkel und ihre Regierung mit zu verantworten hat. Der Wunsch einer türkischen Regierung, aktives Mitglied der Europäischen Union zu sein, dürfte sich in dieser Eindeutigkeit kaum mehr wiederholen. Die Türkei wird sich angesichts des Schuldenwahns in der Eurozone nicht lange über die gescheiterte Hochzeit grämen und sich den aufstrebenden, schuldenfreien Zonen des Ostens zuwenden.