„Die Legalität betrifft die Regeln der Machtausübung; die Legitimität ist das Prinzip, welches diese Regeln begründet.“ (G. Agamben, FAZ Online)
Die Nachricht ist einigermaßen nüchtern: Der deutsche Geheimdienst sieht einen schnellen Sieg der «Rebellen» in Syrien in weite Ferne gerückt. Wenn es tatsächlich das Kalkül des Westens war, den Staat per «Handstreich» und mit Hilfe einer zersplitterten Hilfstruppe zu übernehmen, dann ist der zynische Plan zunächst wohl gründlich gescheitert. Jetzt wird das Regime in Damaskus mittelfristig wohl nur noch durch einen Kriegszug des internationalen Humanismus bedroht.
Die politischen Widersprüche Syriens, die für eine ganze Region exemplarisch sind, bleiben aber so oder so auf der Tagesordnung. Die Fragen, wie man die Minderheit vor der Mehrheit und die Gesellschaften vor den Machenschaften der politischen Klasse und ihrer Verbündeten im In- und Ausland schützt, bleibt ungelöst. Ob der Nationalstaat das richtige Ordnungsmodell für die geopolitische Lage ist, bleibt eine andere Frage.
Der merkwürdig bieder wirkende Augenarzt Assad, der als «demokratischer Diktator» die Regierungsmacht von seinem brutalen Vater übernahm, sitzt noch immer im Sattel. Das mag die einen freuen, die anderen verbittern. Jenseits der Tagespolitik – wie in vielen anderen Staaten der Region auch – muss man auch die grundsätzliche Frage nach der «politischen Klasse» stellen.
Neben der grundsätzlich religiösen Ausrichtung der neuen und alten Machthaber – seien diese säkular oder islamisch – gibt es in der verbreiteten Politikergeneration, die wir heute erleben, auch einige, wichtige Gemeinsamkeiten. Es herrscht ein Typus.
Praktisch ohne Ausnahme regieren die neuen Machthaber als kommissarische Diktatoren, die ohne Hilfe von Außen nicht lebensfähig wären. Sie agieren mit Hilfe eines rigiden Geheimdienstapparates. Sie sind – wenn nicht gar selbst – von Oligarchen umstellt. Sie sind als Zivilisten zum äußersten Machterhalt, bis zum brutalsten Bürgerkrieg hin, entschlossen. Natürlich, ohne je selbst an der Frontlinie zu kämpfen.
Das Gesellschaftsmodell dieser neuen politischen Klasse dürfte, relativ übereinstimmend, ein autoritärer Kapitalismus sein, der mit mehr oder weniger demokratischem Touch sowie mit oder ohne einem wöchentlichen Moscheebesuch auskommt. Deswegen, weil es nur um den Bestand von politischer Macht geht, hat wohl auch keine der gängigen Revolutionen oder grausamen Bürgerkriege irgend etwas an den bestehenden Eigentumsverhältnissen geändert.
Unter diesen Verhältnissen kann man kein Parteigänger sein. Ideologie muss scheitern. Die eigentliche Tragödie erlebt heute die Jugend auf den Straßen von Damaskus oder Kairo. Sie ist mit Recht desillusioniert. Die religiöse Dialektik, die die wahhabitisch geprägten Salafisten der Jugend aufzwingen, lässt den politisch geprägten Islam nur noch als Durchgangsstation zum Nihilismus erscheinen. Wie Insider wissen war und ist die salafitische Missionierung das beste Mittel, die religiös interessierte Jugend aus dem Islam zu drängen. Das islamische Wirtschaftsrecht dagegen – mitsamt seinen anti-monopolitischen Zügen und damit der Hoffnung auf ökonomische Alternativen – hat der politische Islam jeglicher Couleur ironischerweise als «rückständig» verworfen.
Eine schöne Erinnerung an das Phänomen des Ereignisses an sich findet sich in den berühmten «Cahiers» von Paul Valery: «Die Ereignisse sind der Schaum der Dinge, wenn die Brecher über sie hinweggehen. Das Wichtigste ist das am wenigsten Sichtbare. Das Ereignis kommt hoch, erscheint, blendet, verblüfft – und verrauscht. Man muss sorgfältig darauf achten, woran es nichts ändert. Das muss näher betrachtet werden.»