Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Verfemung

Nacktheit hat heute eine spezifische politische Bedeutung, sie entblößt in erster Linie die Machtlosigkeit. Der Anblick nackter Körper war eine Zeit lang mit der Vorführung von Gefangenen in den Lagern des „Anti-Terrorkrieges“ verknüpft und – neuerdings – mit den Aktionen einiger junger Frauen aus der Ukraine. Ihre politische Wirkung entfalten diese Aktionen nicht etwa durch das Gewicht eines selbstbestimmten sozialen Kontextes, den die Aktivisten repräsentieren (es gibt ja kaum mehr politisch bedeutsame Demonstrationen!), sondern durch die Verbreitung von provokanten Bildern durch die Massenmedien.

2 Jahre, sagt man, beträgt etwa die Zeit, in der das Auge der durchschnittlichen Zuschauer mit diesen Provokationen „erregt“ werden können, dann siegt die Macht der Gewohnheit und die Gruppe wird, mit samt ihrer Anliegen, vermutlich in völliger Bedeutungslosigkeit untergehen. Im besten Fall werden die Bilder halbnackter Frauen Teil der soziologischen Forschung oder einfache Objekte des Kunstbetriebes, der Religion des Säkularen. Spätestens jetzt muss sich das politische Anliegen der Frauen ein neues Mittel suchen, um die Öffentlichkeit zu erreichen.

Das Menschen ihren Körper als quasi letztes Mittel einsetzen ist übrigens integrierter Bestandteil der Moderne. Sie definiert treffend die Ohnmacht des Einzelnen. „Das nackte Leben“ ist ein Synonym, dass Giorgio Agamben für einen im Grunde isolierten modernen Menschen benutzt, dem nichts mehr als die eigene Körperlichkeit bleibt. Politisch ist es wohl der Selbstmordattentäter, der die radikalste Form einer Verzweiflungstat und einer Einzeltäterschaft umsetzt, die den eigenen Körper zu dem Nichts einer Bombe reduziert.

In der muslimischen Community gab es einigen Wirbel um die Aktionen der Femen-Frauen vor einer Moschee. Gibt man solchen Taten überhaupt eine Wirklichkeit, worüber man trefflich streiten könnte, unterliegt man automatisch den Gesetzlichkeiten von Aktion und Reaktion. Es stellen sich dann -unter uns gesagt- ähnliche Fragen an die Substanz der Gegenbewegung. Den nackten Körper stehen die verhüllten Körper auf der gewählten Ebene des Protestes entgegen. Bei allen Unterschieden gibt es auch Gemeinsamkeiten, zum Beispiel, dass es beiden Positionen in irgendeiner Form um die Sache der Frauen geht oder die tragende Idee, dass das Spiel mit den Medien dem eigenen Anliegen nützen kann und aus dieser Logik heraus, dass die allgemeine Medienpräsenz den Level des Erfolges anzeigt.

Ob dem wirklich so ist, weiß man nicht. Allerdings sollten natürlich zumindest den muslimischen Frauen bewußt sein, dass ihre Freiheit sich letztendlich auf den Marktplätzen, in ihren Wohnhäusern, in ihren Partnerschaften oder in der Funktionsfähigkeit ihrer Stiftungen entfaltet. Ohne diesen sozialen Kontext droht auch Ihnen auf Dauer die banale Reduzierung auf die Körperlichkeit und das berechtigte Anliegen eines anderen, lebendigen sozialen Kontextes, den die Frauen zu Recht einfordern, könnte auch zugunsten eines bunt wirkenden, aber irgendwie inhaltsleeren Individualismus untergehen.

Eine authentische soziale Wirklichkeit, die man schlecht verfemen könnte und ohne mutige und aktive Frauen niemals entstehen kann, wird nicht allein durch das Tragen von Tüchern und Bärten geschaffen. Symbolisch gesprochen hat die „Islamisierung“ des eigenen Körpers nämlich dann nur begrenzten Sinn, wenn die ganze Straße und das Gemeinwesen im Chaos versinkt. Wollen die Frauen ihre eigene Freiheit in einen Sinnzusammenhang stellen, dann muss neben der Performance auch ihre – leider oft von Männern dominierte – Gemeinschaft rund um ihre Moschee in den Fokus rücken. „Warum sich Männer heute mehr für Kopftücher interessieren als für die Zakat“ ist dabei eine interessante Leitfrage und „weil es bequemer ist“ eine mögliche Antwort.

Ich hatte einen guten Freund, Hajj Abdulaziz Redpath, von dem die folgende Geschichte erzählt wird. Nach einem Freitagsgebet sprach ihn ein anderer Muslim an: „Deine Frau trägt das Kopftuch nicht richtig!“ kritisierte er. Abdulaziz, ein kraftstrotzender Schotte, hielt den Mann mit einer Hand drohend am Hals fest, ballte andeutungsweise die Faust und rief „schau nie mehr meine Frau an!“. Das Ehepaar Redpath sah man danach lachend in der Menge verschwinden.

Die Beiden gehörten viele lange Jahre zu den aktivsten europäischen Muslimen, die mir je begegnet sind, sie waren selten allein und immer gemeinsamer Teil davon, warum es ihnen im Kern ging: die lebendige muslimische Gemeinschaft.