In der ARD gab es neulich, zu später Stunde, den Versuch der Aufarbeitung der Ereignisse in Syrien. Da einige Mainstream-Medien den Film schon vorab „verrissen“ hatten, weckte der Versuch einer balancierten Einordnung um so mehr mein Interesse. Die Reportage bestätigt dann auch den groben Eindruck, den man eben aus der Ferne hat und begleitete so die Unmöglichkeit, mit einer ideologischen Position von „gut und böse“, einer komplexen Situation gerecht zu werden. Das Bild ist leider eher grau, als schwarz-weiß.
Der Film: Ein Unrechtsregime, unter dem jungen Assad, das einen großen Teil der Bevölkerung unterdrückt und ausschließt, wird von einer Opposition zunächst friedlich herausgefordert. Die Regierung reagiert zunehmend militant und bekommt eine Gegenreaktion. Verschiedene interessierte Dritte gießen Öl ins Feuer, die Opposition radikalisiert sich und beide Seiten sind schließlich bereit, tausende unschuldige Zivilisten für diese sinnlose Auseinandersetzung zu opfern. Es ist in erster Linie der russische Außenminister Lavrov, der angenehm nüchtern die „Beiträge“ aller Parteiungen an der Eskalation bewertet.
Der Sendung gelingt immerhin so, trotz schrecklichster Bilder von Terror und Gegenterror, das Geschehen einmal in einen größeren, politischen Sinnzusammenhang zu setzen. Durch den Einsatz von deutschen Soldaten an der türkisch-syrischen Grenze sind wir ja nun ebenfalls zu einer Position gezwungen. Aber, das sei gleich einschränkend gesagt, noch immer ist die Perspektive, die uns das Medium Fernsehen bietet, wohl zu „nah“ am Ereignis, zumindest dann, wenn man, gerade als Muslim, die Geschichte und Tragik Syriens besser zu verstehen versucht.
Eine schöne Erinnerung über das Phänomen des Ereignisses an sich, findet sich in den berühmten „Cahiers“ von Paul Valery:
„Die Ereignisse sind der Schaum der Dinge, wenn die Brecher über sie hinweggehen. Das Wichtigste ist das am wenigsten Sichtbare. Das Ereignis kommt hoch, erscheint, blendet, verblüfft – und verrauscht. Man muß sorgfältig darauf achten, woran es nichts ändert. Das muß näher betrachtet werden“.
Kurzum, es sind diese Langzeitperspektiven, die Valery interessieren. Der französische Schriftsteller hat in seiner „Theorie der Nivellierung“ die politische Entwicklung im Weltmaßstab betrachtet und dabei prognostiziert, dass sich die Staaten auf höchster, technischer Entwicklungsstufe anpassen. Sie unterscheiden sich schlussendlich nicht mehr durch ihre Kulturen, geschweige Religion, sondern durch die Statistiken, die ihre ökonomische Kraft ausdrücken sollen.
Wir erleben das heute. Als Staaten sind der Iran und die Schweiz dem Grunde nach verwandt, in ihrer Wirtschaftsverfassung Zwillinge. Als moderne Ideologien sind Hizbollah und Salafisten, die zwei bösartigen Problemfälle, die das offene und friedliche Syrien, das man sich wünscht, wirklich endgültig erdrosseln könnten, sich ebenso ähnlich. Auch die politische Klasse der Region, auswechselbare Technokraten, die fern vom Parlament, nah an Oligarchen und natürlich in sicherer Distanz zum Kriegssgeschehen agieren, könnten jederzeit Blutsverwandtschaft miteinander schließen.
Was sind also die eigentlichen Perspektiven? Vermutlich wird man das Ende des Osmanischen Reiches, den Siegeszug der Banken, der Parteien, die Idee des Nationalstaates und das Unwesen der Ideologien gleichzeitig hinterfragen müssen. Die Reduzierung des Islam auf den „politischen“ Islam, die Reduzierung des muslimischen Lebens auf Parteien, Staatsmuftis und Vereine, also ein Leben ohne Rechtsbildung, freie Märkte und unabhängige Stiftungen, wird man als Tatbestände in einen erweiterten Erklärungsrahmen, warum die Muslime heute sind wie sie sind, definitiv miteinfließen lassen müssen.