Im Berliner Gorki Theater hat Jorinde Dröse ihre Fassung des „Volksfeind“ von Hendrik Ibsen auf die Bühne gebracht. Der geniale Autor hat das Stück über einen Badeort, der seinen Wohlstand auf „Lügen“ aufbaut, am Ende des 19. Jahrhundert verfasst. Die Aufdeckung der Wahrheit endet für den biederen Angestellten der Bäderverwaltung mit dem Vorwurf, ein „Volksfeind“ zu sein. Ibsen thematisiert auf seiner Bühne die zwiespältige Rolle von Mehrheiten und die mediale Manipulation von Meinungen, die Rolle des Widerstandes auf „verlorenem Posten“, bis hin zur Verlogenheit von menschlichen Beziehungen.
Die Grundanlage des Stückes ist zeitlos und dem Gorki Theater gelingt es dann auch ohne große Mühe, das Stück in unsere Verhältnisse hineinzuversetzen. Die „Badeärztin“ – beeindruckend dargestellt von Sabine Waibel, hat nicht nur einen ambivalenten Charakter, der zunächst nach gesellschaftlicher Anerkennung strebt und zugleich nach dem Ideal der Wahrheit sucht, die Protagonistin sucht auch verzweifelt nach Wegen, unter ökonomischem Druck ihre Integrität zu bewahren und schließlich auch ihrem Zorn gegen die Machtverhältnisse Ausdruck zu geben.
Im 4. Akt wird das Theaterfoyer zum Ort einer öffentlichen Debatte, die aber nur eine Farce, eine „Talkshow“ unter Einschluss des Publikums darstellt und schließlich in einen feurig-verzweifelten Monolog der „Ärztin“ mündet. Hier fließen auch Textbausteine von Gudrun Ensslin in die Rede ein, radikale Zuspitzungen, die das Publikum passiv, teilweise applaudierend, zur Kenntnis nimmt.
Die Bühne verliert sich am Ende in der Trostlosigkeit moderner Gewaltperspektiven und lässt den Zuschauer „benebelt“ unter dem Eindruck des Zirkelschlusses des Politischen zurück. Ibsen selbst ruft uns auf, weiter zu fragen, wo echte Freiheit, die konstruktive Macht in uns und außerhalb von uns ist, sein könnte. Hier gilt es aber nicht, statisch oder verbohrt gegen die Verhältnisse zu denken. Alles ist im Fluß. Ibsen schreibt nach der Fertigstellung des Volksfeindes:
„Was meine eigene Person betrifft, so habe ich jedenfalls die Empfindung solch eines unaufhörlichen Vorwärtsschreitens. Wo ich gestanden habe, als ich meine verschiedenen Bücher schrieb, da steht jetzt eine recht kompakte Menge. Aber ich bin selbst nicht mehr da, – ich bin wo anders, weiter vor, wie ich hoffe“.
Ibsen beobachtete so zu Lebzeiten die Subjekte der Machtausübung und die Spannungen in den Gesellschaften seiner Zeit. Die Archetypen des Politischen, der Monarch, der Diktator, der Parlamentarier, der Bürger ringen um ihre jeweiligen Positionierungen. Das ökonomische Interesse, die ökonomische Macht überhaupt und die technologischen Innovationen dieser Zeit treiben das Geschehen unausweichlich voran. Statt in den Ausgleich, mündet der Machtkampf in Europa in die Vernichtung und das Unwesen zerstörerischer Ideologien.
Heute? Zweifellos hat die Suche nach Alternativen „Konjunktur“ und schließt die Erwartung nach einer neuen Politik ein, die nicht in bloße Gewalt mündet. Der neue „Gegner“ unserer Freiheit ist schwer fassbar geworden und greift doch mit tausend Armen in unsere Leben hinein. Wir begegnen dem magischen Regiment der Märkte, den Monopolen. Im Dezember 2011 bringt es Roger Altman, Finanzminister unter Clinton und ein ehemaliger Praktiker der Macht in der „Financial Times“ auf den Punkt:
„Sie verdrängen verschanzte Regierungen, was normale politische Prozesse nicht hätten tun können. Sie erzwingen Sparpolitik, Banken bail outs und andere wichtige politische Veränderungen. Ihr Einfluss macht multinationale Institutionen wie den IWF zu Zwergen. In der Tat, wenn wir die unnütze Verwendung von Atomwaffen bei Seite lassen, sind sie die mächtigste Kraft der Erde geworden“.