Nach Carl Schmitt ist die Kirche eine „Complexio oppositorum“; eine Institution also, die aus höchster Höhe heraus alle Gegensätze umfassen will. In seiner Abhandlung „Römischer Katholizismus und politische Form“ schrieb er über den Anspruch der Kirche: „Seit Langem rühmt sie sich, alle Staats- und Regierungsbehörden in sich zu vereinigen, eine autokratische Monarchie zu sein, deren Haupt von der Aristokratie der Kardinäle gewählt wird, und in der doch so viel Demokratie ist, dass ohne Rücksicht auf Stand und Herkunft der letzte Abruzzenhirt, wie es Dupanloup formuliert hat, die Möglichkeit hat, dieser autokratische Souverän zu werden.“
Jetzt ist also ein Deutscher dieser Papst. Im Bundestag sprach er und überraschte die Abgeordneten mit einer philosophisch-juristischen Rede, die sich aus luftiger Höhe erst gar nicht in die Niederungen der Tagespolitik begab. Der Papst als Verteidiger des Rechts im Allgemeinen – und des Kirchenrechts im Besonderen – deutete damit machtbewusst an, dass er wohl im Bundestag spreche könne, ohne sich aber seine Worte, als ein bloßer Debattenbeitrag vorbestimmen zu lassen oder sich überhaupt auf der Ebene der Parlamentspolitik zur Disposition zu stellen. Diese Herangehensweise des Papstes schuf durchaus eine konstruktive Spannung, indem er das Parlament mit einer substantiellen Rede konfrontierte, die sich nicht auf das übliche Gezänk und Niveau der Parteipolitik einließ.
Natürlich hat die Rede eine politische Dimension. Schon das Zitat des Augustinus stellte das klar: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“. Natürlich drängen sich hier zunächst die Lehren aus der verbrecherischen Ideologie der Nationalsozialisten auf, die das Recht der Politik unterwarfen und mit Füßen traten. Es passt aber auch in die aktuellen Debatten und in die Diskussion über die Rolle der Gerechtigkeit in Zeiten entfesselter Finanzmärkte.
Der Papst zeigte auf, dass ohne göttliche Inspiration das Recht im Kampf gegen die unbegrenzten Möglichkeiten der Technologie auf verlorenem Posten steht. Natürlich bleibt der Papst und die Kirche im entscheidenden Feld der Finanztechnologie vage und unverbindlich, hat doch das katholische Recht keine Handhabe gegen die Finanzinstrumente dieser Zeit und es betreibt sein eigener Staat ja unter anderem auch eine ganz gewöhnliche, profane Bank. Es blieb in seiner Rede offen, mit welcher politischen Kraft das Finanzmonster gebändigt werden soll und warum das Recht eigentlich den Machtzuwachs der Ökonomie nicht verhindern konnte.
So interessant wie hintersinnig klang dagegen die vieldeutige Belobigung der Grünen, die manchem Alt 1968er eher unheimlich gewesen sein dürfte. Der Papst würdigte ihre Sorge um die Schöpfung. Es wurden, so der Papst, in den 1970er Jahren zwar keine „Fenster aufgerissen“, aber es war immerhin ein „Schrei nach frischer Luft“ zu hören. Ein Schrei, der das rein materielle Denken zurück drängte. Gleichzeitig sieht er in der Partei aber auch eine Art Konkurrenz, ein Religionsersatz. Entsprechen die Grünen dem Bild der aktiveren Gemeinde, die sich um die Schöpfung kümmert, während die Kirche selbst immer weniger die Praxis und das Bewusstsein der Menschen in Deutschland zu bestimmen vermag?
Geschickt befriedet er mit seinem Lob nebenbei auch die Debatte innerhalb der grünen Fraktion. Es ist strittig, ob sein Auftritt im Berliner Machtzentrum nicht die Neutralität des Staates in Religionsfragen verletzt. Der Papst im Bundestag, das Protokoll selbst, beschreibt das enge Verhältnis von Staat und Kirche, das wiederum Voraussetzung für die vielfältigen ökonomischen Beziehungen ist. Der Papst besteht im Bundestag weiter auf die eingeengte Sicht, wonach die europäische Identität durch Christentum und Judentum, nicht aber durch Islam mit herausgebildet wurde.
Problematisch ist diese offensichtliche Nähe von Papst und Staat im Umgang mit den religiösen Minderheiten. Es gibt in Staat und Kirche Strömungen, die einen Pakt gegen die echte Anerkennung des Islam zumindest andenken. Noch immer sind Muslime benachteiligt und bleiben als wichtige Minderheit ausgegrenzt. Auch im Umgang mit den deutschen Muslimen zeigt sich der Vatikan übrigens als Meister des Protokolls. Die muslimische Delegation, die vor den Papst treten durfte, wurde in Rom ausgewählt und in die eigene Botschaft bestellt.