Das System ist die Katastrophe. Die gesamte menschliche Zivilisation ist zu einem Abfallprodukt der Kapitalverwertung verkommen, und die um sich greifenden Krisentendenzen deuten schlicht darauf hin, dass die Menschheit sich nicht mehr rentiert.“ (Sascha Adamek, Telepolis)
Es ist Hochsaison für Moralapostel.
Der Kriegseinsatz in Libyen und die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in Bengazi sollen, so die Sicht der Kriegsbefürworter, angeblich eine „Renaissance der Menschenrechte“ einleiten. Über Jahrzehnte hat der Westen die Despoten in der arabischen Welt aufgerüstet, ausgerüstet und versorgt, – damals wäre es die Zeit gewesen, sich moralisch zu entrüsten. Es jetzt zu tun und gerade heute die deutsche Regierung in ihrer Zurückhaltung im Lybien-Abenteuer als „amoralisch“ zu diffamieren ist wahrlich starker Tobak.
Konsequent ist in der Logik und in der Mobilmachung der Weltbürgerkriegler allein, dass es für dritte Staaten keine neutrale Positionen mehr geben soll. Es gilt das Gesetz der Härte: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer sich in Lybien enthält, ist für Gaddafi. Wer nicht gegen Gaddafi bomben will, ist kein aufrechter Demokrat!“.
Typisch, nicht zufällig, ist gleichzeitig die moralische Zurückhaltung in der Bewertung ökonomischen Handelns, das von der Idee politischer und moralischer Verantwortung weiter konsequent getrennt bleibt. Die Gesetze der Moral, Demokratie, Vernunft und Aufklärung sollen weiter NUR nur im politischen Feld gelten.
Die Hysterie um den „politischen“ Islam verstellt den möglichen Blick auf den „ökonomischen“ Islam (…ein Grund, warum die „Panikmacher“ so kraftvoll auf die politische Bühne befördert und dort prominent positioniert werden).
Allein die Frage nach der Verantwortung über das Wirken unseres Finanzsystems, unserer Derivate, Wetten und Spekulationen ist keine mehr. Das Unheil unserer Finanzinstrumente, das seit Jahrzehnten über unsere Außengrenzen (genau den Limes, den Gaddafi für uns verteidigt hat) hinauswirkt, lässt Bengazi „moralisch“ leider nur als traurige Marginalie erscheinen.
Es ist einfach, sich im Gegensatz zum Abgrund der Diktatur als „Demokrat“ zu definieren. Die Diktatur und die Ausrichtung auf den Feind verhindert die Frage auf die eigene Gestalt, auf das „wer sind wir?“. Der politische Feind kann uns in den gegebenen Machtverhältnissen „politisch“ gar nicht mehr gefährden, er ist in seiner Funktion bereits integrierter Teil des politischen Systems.
Das Wesen unserer Intervention und unsere Einmischung ist nicht schon „demokratisch“, nur weil es unsere Gegner nicht sind.
Wer entscheidet über die Einstellung der Linsen, die uns die Bilder liefern oder nicht liefern, wer entscheidet, über welche Weltgegend wir uns ereifern und dass wir heute über die Lage in – beispielsweise – Usbekistan gleichzeitig den Mantel des Schweigens werfen?
Wir beobachten immer noch Realpolitik.
Die Zukunft der arabischen Welt kann von der ökonomischen Frage nicht getrennt werden.
Die Fragen, die sich wirklich stellen: Funktioniert der Kapitalismus auf globalem Niveau und funktioniert seine zinsgeförderte arm-reich Dynamik? Gibt es Arbeit für die Massen junger Araber? Können wir eine Demokratie erlauben, die uns eventuell kein Öl liefert? Was für eine Art von Demokratie exportieren wir eigentlich? Ist es wirklich eine Demokratie, die von Politik beherrscht wird?
Ist der Tausch eines realen Wertes, Öl, gegen Papiergeld, das täglich wegen unserer irrealen Schuldenpolitik entwertet werden muss, fair oder muss die Akzeptanz für dieses unfaire Tauschgeschäft de facto erzwungen werden?