Schluss mit der Demokratie? Terrorismus und Kapitalismus – beides prägt nun die Moderne und birgt im Zusammenspiel die Gefahr eines neuen „autoritären Kapitalismus“. So zumindest der Philosoph Peter Sloterdijk, Jahrgang 1947. Sloterdijk lehrt Ästhetik und Philosophie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und moderiert im ZDF mit Rüdiger Safranski in den späten Abendstunden das „Philosophische Quartett“.
Sein neues Buch über den Weltinnenraum des Kapitalismus gehört zu den lesenswerten Neuerscheinungen. Sloterdijk verwehrt sich gegen die populäre These, dass nach dem Sieg gegen den Terrorismus schon alles „gut“ ist. De facto könnte der Kapitalismus die Demokratie nämlich nicht mehr nötig haben und die Debatte über den Terrorismus von der Erosion demokratischer Formen ablenken.
Sloterdijk reflektiert in einem Interview mit dem Tagesspiegel über Europas Krise. Die Alternative zum „auroritären Kapitalismus“ sieht Sloterdijk nur in der Akzeptanz von Wettbewerbsnachteilen und in einer Zusammenkunft von „Demokratie und Askese“.
Einige Auszüge:
Frage: Werden wir zur Kapitalismusdebatte möglicherweise eine Demokratiedebatte dazubekommen? Müssen wir auf europäischem Hintergrund den Abstand zur direkten Demokratie neu definieren? Auch der Papst beschwört mit seiner Kritik am „Relativismus“ die Optionsmöglichkeit der Mehrheit.
Sloterdijk: Ratzinger wäre falsch interpretiert, wenn man ihn als Antidemokraten beschriebe. Er plädiert für eine christliche Demokratie. Ich würde das übersetzen in ein Theorem, an dem ich seit längerer Zeit arbeite: Was uns demnach bevorsteht, ist die globale Wende in den „autoritären Kapitalismus“ – und zwar auf der Grundlage eines neo-autoritären WerteDenkens. Ratzingers Visionen lassen sich mühelos in einen solchen Kontext einordnen. Das 21. Jahrhundert wird zum Labor des Neu-Autoritarismus, das heißt des Kapitalismus, der die Demokratie nicht mehr nötig hat.
Frage: Plädieren Sie dafür?
Sloterdijk: Die Tendenz ist natürlich abzulehnen. Man kann nur mit tiefem Bedauern bemerken, wie Zug um Zug Freiheitsspielräume verloren gehen werden. Die aktuelle Situation ähnelt jener der Dreißigerjahre im 20. Jahrhundert, als mehrere Arten des Autoritarismus zur Wahl standen – weltweit. Ich glaube, im Moment erleben die politischen Systeme wieder einen Übergang zu postliberalen Formen. Man hat die Wahl zwischen einem eher parteidiktatorischen Modus wie in China, einem staatsdiktatorischen Modus wie in der Sowjetunion, einem stimmungsdiktatorischen Modus wie in den USA und schließlich einem mediendiktatorischen Modus wie in Berlusconis Italien. Der Berlusconismus ist der europäische Testballon der neo-autoritären Wende.
Frage: Was wäre das Gegenmodell zur autoritären Demokratie? Kann der Liberalismus gerettet werden?
Sloterdijk: Er könnte nur gerettet werden um einen paradoxen Preis, nämlich durch eine Allianz zwischen Demokratie und Askese, das heißt eine freiwillige Hinnahme von Wettbewerbsnachteilen. Das würde bedeuten, es müsste so etwas wie eine großeuropäische Geusen-Politik auftauchen, wie seinerzeit gegenüber dem spanischen Hegemonialanspruch. Die imperialen Spanier wollten im 16. und 17. Jahrhundert ihre Herrschaft bis in die Niederlande ausdehnen. Die entsprechende Résistance – die Geusen – gab den Slogan aus: „Lieber tot als Sklave“, was man übersetzen müsste mit: „Lieber arm als unfrei.“