Es gibt heute ein kein Ende nehmendes öffentliches Gerede über den Zusammenhang der Gegensätze von öffentlich-privat und politisch-unpolitisch in Bezug auf den Islam. Die Tendenz der Öffentlichkeit ist es dabei, den Islam in das völlig Unpolitische oder Private zu drängen. Nur, macht dieses „Schwarz-Weiß-Bild“ wirklich Sinn? Viele theoretisierende Beiträge über die gemutmaßte öffentliche oder politische Wirkung des Islam definieren nicht was die islamische Lebenspraxis eigentlich überhaupt ist. De facto ist der Islam weder völlig privat noch nur öffentlich, wie schon einige Beispiele aus der anerkannten islamischen Lebenspraxis relativ schnell zeigen.
Dutzende Male nennt der Koran beispielsweise als entscheidende Glaubensinhalte die Etablierung von Gebet und Zakat. Nur, sind diese Inhalte privat oder öffentlich? Ist es unpolitisch, wenn sich eine muslimische Gemeinschaft zum Freitagsgebet trifft und der Imam auch die soziale Situation der Gemeinschaft anspricht? Ist es privat oder öffentlich, wenn eine muslimische Gemeinschaft die Zakat einzieht? Ist es privat oder öffentlich, wenn Muslime sich ihrem Glauben entsprechend auf den Weg nach Mekka machen?
Die strikte Unterscheidung von privat und öffentlich, die Zuweisung des Islam in das ausschließlich Private macht überhaupt nur Sinn, wenn man nicht mehr davon ausgeht, dass der Muslim sich in seiner islamischen Gemeinschaft bewegt. Gemeinschaft und damit die Einsicht, dass man den Islam nicht allein leben kann, ist für Muslime aber überaus wichtig. Schaikh Ibn Ajiba beschreibt dieses natürliche Phänomen mit einem einfachen Bild: „Ein Schaf, dass alleine ist, ist das erste Ziel des Wolfes“. Viele der großen Bücher des Islam, zum Beispiel Qadi Iyad´s „Tartib al-Madarik“ (über Imam Malik und seine Nachfolger), handeln über die Aspekte gemeinschaftlichen Lebens und vermitteln existentielles Wissen über Handlungen, aber auch Handelnde in Medina. Die Wissenschaft über das Verhalten der Gemeinschaft reflektiert nicht nur über die Handlungen und Situationen, sondern auch über die beteiligten Charaktere, „wer“ etwas tat und „wie“. Die islamische Lehre behandelt menschliche Situationen, und diese sind mit den Kategorien von privat und öffentlich nur schwer zu greifen.