Reden und reden lassen
Friedrich-Ebert-Stiftung und Hisbollah tagten in Beirut, trotz scharfer Kritik, weil liberale arabische Stimmen fehlten. Am Schluss fühlte man sich in eine studentische Vollversammlung versetzt. „Wollen Sie mir vorschreiben, was ich hier zu sagen habe?“, schimpfte ein libanesischer Redner, nachdem ihm die Moderatorin wegen seiner Abschweifungen das Wort abgeschnitten hatte. Und eine verschleierte Iranerin, die eine Debatte über das französische Kopftuchverbot anzetteln wollte, wurde resolut an den Titel des Panels erinnert: „Zwischen theoretischen Konzepten und Konflikten: Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Sprache.“
Die war gar nicht so einfach zu finden: Nach drei Tagen Diskussion über „Die Islamische Welt und Europa“ sah sich Karin Kneissl von der Uni Wien am Schlusstag mehrfach genötigt, die Grundlagen eines islamisch-europäischen Dialogs näher zu bestimmen. Was weniger mit kulturellen Unterschieden zwischen den aus Frankreich, Deutschland, Ägypten, Indien, Jordanien, dem Iran und Großbritannien nach Beirut angereisten Konferenzteilnehmern zu tun hatte als mit der Unfähigkeit, sich ans Thema zu halten. So war zwar ein Podium eigens dem Nahostkonflikt vorbehalten. Doch bereits am Eröffnungsabend wurde klar, worum es nahezu allen Sprecherinnen und Sprechern aus dem Nahen Osten ging: „Gerechtigkeit für das palästinensische Volk“ – verbunden mit oft unerträglichen Hasstiraden auf Israel.
Bereits im Vorfeld der vom Orient-Institut der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft – gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Hisbollah-nahen Think-Tank Consultative Center for Studies & Documentation (CCSD) – organisierten Konferenz war scharfe Kritik an der Auswahl der Teilnehmer geäußert worden. Vor allem die Tatsache, dass aus dem Libanon nur Sprecher der „Partei Gottes“, laut Gründungscharta dem Aufbau eines islamischen Staates verpflichtet, vertreten waren, hatte den Protest lokaler Medien und Intellektueller provoziert.
Vier Jahre nach dem Abzug Israels aus dem fast zwei Jahrzehnte lang besetzten Süden des Landes befindet sich die von vielen Libanesen als „nationaler Widerstand“ gefeierte, mit neun Abgeordneten im Parlament vertretene schiitische Organisation in einer Phase politischer Neuorientierung, hin zu einer islamischen Volkspartei mit bewaffnetem Arm – wobei noch darüber gestritten wird, wie lang der Arm denn nun sein soll. Grund genug aber für die Ebert-Stiftung, offensiv einen Dialog mit den Islamisten zu suchen.
Dass die Zweifel an der Dialogtauglichkeit seiner Oberen selbst bei CCSD-Direktor Ali Fayyad bisweilen stärker ausgeprägt waren als bei den sozialdemokratischen Koorganisatoren, zeigte der vorzeitige Abschied von Sheikh Naeem Qasim. Um die westlichen Besucher vor antisemitischer Rhetorik zu bewahren, übernahm Fayyad kurzerhand den Part, der laut Programm dem stellvertretenden Hisbollah-Generalsekretär vorbehalten war: Die Positionen der „Partei Gottes“ zu erläuterten.
Auf die Frage an die deutschen Mitveranstalter, warum man den Dialog ausgerechnet mit Repräsentanten verschiedener radikalislamischer Strömungen suche, folgte meist eine Antwort mit dem Wörtchen „alternativlos“. „Wenn man in der arabischen Welt Einfluss nehmen will, muss man mit allen Kräften dort reden“, sagte Christoph Zöpel. Und Andrä Gärbner, Leiter des Nahost-Referats, assistierte: „Wir sehen uns in einer Mittlerrolle.“ Außerdem müsse man den Transformationsprozess nutzen, um die gemäßigten Kräfte innerhalb der Hisbollah zu stärken. Oder, wie es der Nahostexperte Michael Lüders formulierte: „Ich bin nicht hierher gekommen in der Erwartung, dass es eine Annäherung gibt. Sondern eigentlich eher in der Hoffnung, dass es möglich ist, in Ruhe unterschiedliche Positionen zu erklären und anzuhören.“
Auch wenn irgendwann keiner mehr richtig sagen konnte, worüber denn nun eigentlich geredet wurde und warum, zwang Kneissl die Teilnehmer durch ihre resolute Diskussionsführung am Ende zu einem Brainstorming, das es locker mit der basisdemokratischen Suche nach neuen studentischen Aktionsformen aufnehmen konnte. Fazit: Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, miteinander ins Gespräch zu kommen – angefangen bei Schüleraustauschen über Reisen in die Region, weiteren Konferenzen und der Übersetzung von arabischen Büchern ins Englische und umgekehrt.
Dass die deutschen Koorganisatoren der Konferenz sich von den Vertretern islamischer Bewegungen hätten vereinnahmen lassen – neben Hisbollah-Vize Qasim waren auch der ägyptische Schriftsteller Jamal al-Banna und Azzam al-Tamimi vom Londoner Institute of Islamic Polical Thought gekommen -, wiesen die Veranstalter zwar weit von sich. Doch einen Beleg für die Grenzen eines gleichberechtigten Dialogs lieferte schon die Getränkeauswahl: Auf Alkoholausschank musste beim Begrüßungsumtrunk verzichtet werden.“ MARKUS BICKEL
taz Nr. 7292 vom 24.2.2004, Seite 18, 161 Zeilen (TAZ-Bericht), MARKUS BICKEL