Nach der erwiesenen Folterung von Häftlingen im Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad durch US-Militärs wird die amerikanische Regierung jetzt mit konkreten Vorwürfen konfrontiert, dass auch in Guantánamo Bay Häftlinge methodisch misshandelt wurden. Die «New York Times» veröffentlichte erstmals belastende Aussagen mehrerer Personen, die in dem Camp für angebliche «unrechtmäßige Kämpfer» im Dienste Osama bin Ladens gearbeitet haben. Hier wie dort spricht das Pentagon von isolierten Fällen und bestreitet eine Systematik. In Guantánamo gebe es eine «sichere, humane und professionelle Hafteinrichtung, die wertvolle Informationen im Krieg gegen den Terrorismus beschafft».
Dieser Argumentation stellt der britische Journalist David Rose in seinem Buch «Guantánamo Bay – Amerikas Krieg gegen die Menschenrechte» ein vernichtendes Urteil entgegen. «Gitmo», wie das Camp im Marinestützpunkt der USA auf kubanischem Boden oft kurz genannt wird, ist nach der Überzeugung von Rose nicht nur juristisch und moralisch fragwürdig, sondern im Kampf gegen den islamischen Terror wertlos bis kontraproduktiv.
Die offizielle Version, es habe wertvolle Einsichten gebracht und weitere Anschläge verhindert, sei bestenfalls Wunschdenken. Nur wenige der fast 750 Menschen, die in Gitmo sind oder waren, hätten Amerikaner umbringen wollen. Alle Beweise sprächen eher dafür, dass wahrscheinlich Hunderte absolut unschuldig wären. In der islamischen Welt sei es zum Symbol der Unterdrückung geworden und habe eine «Drachensaat» der Radikalisierung gestreut.
Das Gefängnis in Guantánamo sei auch kein Einzelphänomen, schreibt Rose, sondern «wir müssen es als wichtigen Baustein in einem umstürzlerischen System verstehen, das sich gegen zwei tragende Säulen sowohl der Aufklärung als auch der amerikanischen Verfassung richtete – gegen die Abkehr von der Folter und gegen das ordentliche Gerichtsverfahren.» Präsident George W. Bush wirft er vor, die unbeschränkte Macht zu beanspruchen, in Kriegszeiten Verträge, Konventionen und Gesetze außer Kraft zu setzen.
Der Autor ist also kein Freund des Republikaners, der um seine Wiederwahl kämpft. Seine Beweisführung ist allerdings beeindruckend. Er stützt seine Schilderung auf Aussagen inzwischen entlassener britischer Gefangener, die es nach Guantánamo verschlug, auf Darstellungen von teils noch aktiven Mitarbeitern des US- Geheimdienstes, auf interne Dokumente der Guantánamo Joint Task Force, eigene Beobachtungen und die anderer Journalisten vor Ort, auf offizielle und private Gespräche mit den dort Beschäftigten sowie den Sachverstand verschiedener Experten. Endgültige Klarheit können aber wohl erst Prozesse bringen, die Ex-Häftlinge angestrengt haben, nachdem der Oberste Gerichtshof der USA im Juni Jahres entschieden hatte, dass die Gefangenen in «Gitmo» sehr wohl das Recht auf Haftprüfung und anderen gesetzlichen Schutz haben.
David Rose: Guantánamo Bay – Amerikas Krieg gegen die Menschenrechte Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz und Monika Noll S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 192 Seiten, 14,90 Euro ISBN 3-10-066300-4