Spätestens seit der Finanzkrise dürfte uns klar sein, dass unsere Demokratie heute sehr real durch den systematischen Machtzuwachs der Ökonomie bedroht ist. Die Warnung vor der „theoretischen Gefahr“ einer Machtergreifung einiger Islamisten im Lande scheint vor dieser Gefahr doch eher abzulenken. Dennoch schüren die Islamkritiker immer wieder erfolgreich den Einruck, unser Land stünde bereits am Abgrund und das Verhältnis zum Islam sei nun die wichtigste „Überlebensfrage“ unserer Demokratie.
Allerdings herrscht nun auch ein wenig Alarmstimmung bei den Islamkritikern selbst. Mit der Streitschrift „Die Panikmacher“ tritt mit dem FAZ-Feuilletonchef Patrick Bahners ein ernstzunehmender Gegner in den Ring. Dass es beim Streit über die letzten politischen Glaubensfragen, insofern typisch deutsch, wenig Kompromissfähigkeit gibt, zeigen bereits die ersten Reaktionen. Für Thilo Sarrazin führt der zarte Versuch des FAZ-Redakteurs, etwas Objektivität in die Debatte einzuführen, bereits zur absurden Kategorisierung des Autors als „Ghostwriter Erdogans“. Die paranoide Grundhaltung der „Panikmacher“ könnte sich kaum besser offenbaren.
Das Buch ist über seine 308 Seiten nicht etwa eine Verteidigung des Islam, sondern vielmehr eine Verteidigung jeder religiösen Position, die sich von der Allmachtsphantasie moderner Staaten nicht beeindrucken lässt. Aber, so stellt Bahners klar, die Verleumdung der religiösen Position als „totalitär“ und „gefährlich“ auf der Grundlage von Mutmaßungen ist in einem freien Gemeinwesen nicht hinzunehmen. „Frömmigkeit“, so stellt Bahners jedenfalls klar, „ist kein Index der Desintegration“.
Bahners erinnert in seinem Buch auch an die Entstehungsgeschichten der innerdeutschen Islamdebatte. Nach dem Schockzustand des 11.9. beeinflusste das Misstrauen gegen die zahlreichen Muslime im Lande auch das staatliche Handeln. In Baden-Württemberg wollte eine konservative Landesregierung Zeichen setzen und verbot einer anerkannten muslimischen Lehrerin das Tragen eines Kopftuches. Später kam ein diskriminierender Fragebogen gegen muslimische Immigranten zum Einsatz. Hinter diesen Aktionen verbargen sich auch, wie Bahners akribisch aufzeigt, verbeamtete Akteure der Islamkritik.
Es gehört zu den eindrücklichen Passagen im Buch von Bahners, auf die geistige Verwandtschaft und effiziente Vernetzung der bundesdeutschen Islamkritik hinzuweisen. Die Mahner gegen den Islam verfügen bis heute durchaus über einigen Einfluss, erfreuen sich ihrer Schlüsselpositionen in Medien, staatlichen Einrichtungen oder politischen Stiftungen. Bahners arbeitet sich natürlich auch auf klugen Seiten an den prominenten Meinungsmachern der Islamkritik, von Raddatz bis Broder, ab. Er weist aber auch auf den strukturellen, eher verborgenen Einfluss der Islamkritik hin.
Bahners beschreibt so die Rolle von Johannes Kandel bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Kandel ist nicht nur der emsige Leiter des „interkulturellen Dialogs“, sondern trägt nebenbei auch zur Verbreitung evangelikaler Positionen bei. Der einflussreiche „evangelische Sozialdemokrat“ mag seine Verdienste haben, er ist in Religionsfragen nur kein neutral denkender Kopf oder gar eine objektive Instanz. Der Mitgliederzuwachs von Muslimen bei der SPD bleibt so überschaubar, was auch ein wenig daran liegen könnte, dass Kandel bekannterweise schon misstrauisch sei, so lange „islamische Verbände“ weiter auch hinter geschlossenen Türen tagen.
Ein ganzes Kapitel widmet Bahners Necla Kelek und ihrem Werk. Bahners zeigt einige Widersprüche auf, so den evidenten Sinneswandel der Wissenschaftlerin Kelek zur erfolgreichen Autorin Kelek. Er macht aber auch verständlich, wie prägend für Kelek eigene Kindheit, Vater und das bürgerliche Milieu der Türkei war. Der Mix eigener schlechter Erfahrungen und Eindrücke und die reflexartige Assoziation aller dieser negativen Erfahrungen mit dem Islam prägen das Denken der bekanntesten Islamkritikerin Deutschlands. Die trennenden Linien zwischen türkischem Kleinbügertum, Milieu und Islamischen Regeln verschwimmen dabei.
Bahners bezeichnet den publizistischen Durchbruch der Autorin, die „fremde Braut“, als ein „Sachbuch ohne Fußnoten“, das nur „literarische Beglaubigungstechniken“ verwendet. Hieraus soll übrigens gerade nicht folgen, dass alles falsch ist, was Kelek im türkischen Milieu beschreibt und teilweise völlig zu Recht kritisiert. Die Äußerung dieser Kritik ist auch nach Bahners Logik natürlich ihr gutes Recht, es muss nur unter dem Stichwort „Subjektivität“ in seinem Anspruch auf absolute Allgemeingültigkeit relativiert werden.
Hilfreich für ein Verständnis der Motivation Keleks ist auch der Hinweis Bahners, dass ihre Staatsgläubigkeit auch von einer naiven Haltung gegenüber den Tugenden des Kemalismus geprägt ist. Bahners nennt den „dogmatischen Kemalismus“ als die eigentliche Basis Keleks und damit prägen auch ideologische Komponenten das säkulare Glaubensbekenntnis der Kritikerin. Der bundesrepublikanischen Tradition der Bürgerrechte gibt Kelek angesichts ihrer „Panik vor dem Islam“ so natürlich nicht immer klare Vorfahrt. „Die Überwachung der Freitagsgebete durch den Verfassungsschutz entspräche ihrer Auffassung der Trennung von Kirche und Staat“, schreibt Bahners spitz.
Am Ende seines Buches frägt sich Bahners, wohin die unversöhnliche Islamkritik mit ihrem unbeirrbaren Misstrauen in letzter Konsequenz hinführen wird. Die Frage bleibt offen. Wer an dieser Debatte künftig mit seriösen Argumenten teilnehmen will, kommt an dem wichtigen Sachbuch jedenfalls nicht vorbei.
Patrick Bahners; Die Panikmacher; Die deutsche Angst vor dem Islam; Eine Streitschrift; C.H. Beck Verlag