Bekanntlich beschäftige ich mich (und viele Beiträge in der IZ) mit dem Thema „Islam und Ökonomie“ und mit der Frage, ob der Islam aktuell eine ökonomische Alternative (Muamalat) anbieten kann.
Bevor man hier sich ein Urteil bildet, muss man sich zunächst mit der Entstehungsgeschichte moderner Staaten beschäftigen. Es gibt im Westen hierzu längst eine aufklärende Bewegung. Gabor Steingart zum Beispiel beschreibt, im Dreieck von Politik, Banken und Staaten, das hier relevante Grundphänomen in seinem neuesten Buch Bastard Ökonomie wie folgt: „Die Banken wurden zum Ermöglicher der Politik. Der Staat stieg zum Protegé des privaten Geldgeschäfts auf. Der für die Marktwirtschaft konstituierende Zusammenhang zwischen Risiko und Verantwortung wurde entkoppelt, die Trennung von Privatinteresse und Gemeinwohl hob sich auf.“
Heute müssen wir uns zweifellos mit dem Phänomen der neuen Finanztechniken auseinandersetzen; also der Macht der Notenbanken, überhaupt der Monopole, und den Untergang der freien Märkte. Schlussendlich bleibt uns nur, die Ethik der Geldproduktion selbst zu bedenken.
Die wundersame Geldvermehrung, die jenseits der Gesetze der Aufklärung „funktioniert“, erreicht in Europa mit der aktuellen Politik des Chefs der Europäischen Zentralbank Draghi (quantative easing), der mindestens 1.140 Milliarden neue Euro drucken will, einen neuen Höhepunkt. Die Folgen für die globale Ökonomie sind unabsehbar und führen bereits in einen riskanten Währungskrieg. Verfassungsrechtlich stellt die Politik der Notenbanken endgültig die Gewaltenteilung als Grundprinzip der Demokratie in Frage.
Der Kulturphilosoph Joseph Vogel spricht in der neuen Wirtschaftswoche von der Souveränität eines „Finanzregimes“; einer Souveränität jenseits des politischen Spektakels, die die „Risiken seines Publikums in Gefahren für den Rest der Leute verwandelt“. Unter dem Finanzregime versteht Vogel dabei konkret „ein Konglomerat aus nationalen und internationalen Institutionen – Zentralbanken, IWF, Weltbank und so weiter –, aus internationalen Abkommen, mächtigen Spielern auf den Finanzmärkten und den damit verbundenen Geschäftspraktiken“.
Im Rahmen dieser Geldpolitik verändert sich das demokratische System nahezu lautlos. Ein Blick auf die USA genügt. Der ehemalige Chef der US-Notenbank Fed Bernanke regte bereits an, den 1976 vom Kongress verabschiedeten National Emergencies Act auf den ökonomischen Notstand auszuweiten. Der amerikanische Präsident könnte dann per Notstandsgesetze nicht nur Kriege beginnen, sondern mit diktatorischen Mitteln die Wirtschaftspolitik in der nächsten Krise bestimmen.
Die Folgen der von oben verordneten Inflationskultur sind allerdings nicht nur im Großen, sondern bereits auch im Kleinen spürbar. So wird zumindest auch eine Konsequenz für jeden einzelnen Sparer klar: Sein Geld wird wertlos und er ist praktisch gezwungen am Roulette der internationalen Börsen teilzunehmen. Der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler stellt zur Politik der EZB, eine Inflation von mindestens 2 Prozent durchzusetzen, nüchtern fest: „Erreicht er (Draghi) dieses große Ziel – und davon kann man ausgehen –, verlieren Sparvermögen in 20 Jahren rund ein Drittel ihres Wertes und in 30 Jahren fast die Hälfte.“
Hin und wieder liest man nun im Netz, manchmal auch im Bezug auf die aktuellen politischen Debatten der Türkei, in diesem Zusammenhang den fragwürdigen Begriff einer „Zinslobby“. Hier wird suggeriert, dass das (als an sich perfekt gedachte) ökonomische System nur wegen den „bösen“ Machenschaften einiger Lobbyisten, eben der „Zinslobby“, in Bedrängnis gerät. Die Anhänger dieser These glauben, dass eine islamische Ökonomie sich nur in Fragen der Moral von dem gängigem Wirtschaftsmodell unterscheiden muss.
Die Verfasstheit moderner Staaten und das grundsätzliche, hier nur angedeutete Problem der Finanztechnik aber, das den entfesselten Kapitalismus heute global prägt, bleibt hier unverstanden. Dieser Ansatz ist im Grunde also nur eine banale Verschwörungstheorie, teilweise mit abstoßender antisemitischer Einfärbung präsentiert, eine Haltung, die nebenbei ignoriert, dass die Praxis der strukturellen „Zinsnahme“ heute global und natürlich auch jenseits aller Konfessionen praktiziert wird.