Moderne Katastrophen werden im Normalfall mit einer gewissen Routine abgearbeitet.
Der erste Schock und die Anteilnahme an der Trauer von Angehörigen werden schnell von der Frage nach dem „Warum“ verdrängt. In der Welt der Technik sollen die Unberechenbarkeiten des Schicksals nicht zugelassen sein. Vielmehr soll uns kühle Klarheit über die beteiligten Kausalketten, die eben noch zur Zerstörung und damit zu unserer Verunsicherung führten, möglichst schnell wieder den Glauben an unsere gewohnten Techniken zurückgeben. Dann herrschen wir wieder. Nach einigen Tagen widmen sich ganze Scharen von Technikern wieder dem Ideal einer „perfekten“ Technik. Was wir anstreben, ist die Symbolik führerloser Flugzeuge oder Autos, die die Fehlerquelle „Mensch“ weiter minimieren sollen.
Diese Abwicklung des Unfassbaren wird verzögert, wenn der Fehler entweder nicht gefunden wird, oder aber eine ganz andere Natur hat. Was ist, wenn der Mensch nicht nur eine Fehlerquelle ist, weil er den technischen Standards nicht mehr folgen kann, sondern er sich der Technik, für die er im Normalfall nur ein mit Fehlern behafteter, aber doch williger Untertan ist, mit böser Absicht bemächtigt?
Es gehört dabei wohl in die Welt des Nihilismus, wenn selbstzerstörerische Energie nicht nur für sich die Totalste aller Konsequenzen sucht, sondern auch andere in den Abgrund reißen will. Hier tun sich Abgründe auf, und unter uns öffnet sich der Blick in die große Leere. Wir müssen uns fragen, warum es diesen Typus des modernen Menschen gibt, der die bekannten Grenzen der Religion, der Ethik oder Philosophie nicht mehr achtet und sich vor unserer aller Augen zum Herrn über Leben und Tod aufschwingt.
Bedenklich stimmt auch eine Form der Paranoia, die wohl zu gerne dem Versuch erliegen will, dem Psychopathen gar eine bestimmte Religion zuzuordnen. Ähnlich wie die Wirkung einer permanent angewandten Technik der Verschwörungstheorie verliert die Gesellschaft so den Boden und die Fähigkeit, Phänomene nach den Gesichtspunkten der Vernunft gemeinsam einzuordnen. Der Einzelne vermag nie – zumindest wenn die Gesetze der Logik weiter gelten sollen –, die Glaubensüberzeugungen der Mehrheit, die Ideale der Gemeinschaft oder die Natur der Gesellschaft zu definieren.
In diesen Katastrophen scheitert das andere, große Projekt der Moderne: Den Menschen durch ein System der Kontrolle und ethischen Normen endgültig zu zähmen und, beinahe wie unsere Maschinen, in seiner Berechenbarkeit zu perfektionieren. Es gibt aber, auch in den feinmaschigsten Systemen, keine solche Sicherheit, da immer wieder einzelne durch das Netz der abgemachten Gemeinsamkeiten hinausdringen können, um in ihrer unzugänglichen Welt ihre Pläne zu schmieden; die schlimmstenfalls – mit selbstmörderischer Entschlossenheit versehen – auch uns gegenüber ihre abgründige Wirkung entfalten. Die menschliche Situation bleibt heikel: Wenn wir das Flugzeug meiden, setzten wir uns der, statisch gesehen, nun höheren Wahrscheinlichkeit aus, den Gefahren des Straßenverkehrs zu begegnen.
Schlussendlich werden wir nach dieser Art der Katastrophen Philosophen werden müssen; mit dem Ziel, dem Wert des Lebens wieder einen neuen, einmaligen Rang zu verschaffen. Lassen wir auch nur eine Sekunde den Gedanken der Sinnlosigkeit zu, dann stiften wir den Nährboden für das Aufkeimen neuer, in diesem Fall geistiger Zerstörung. So bleibt nur, ganz fern von der Welt der Ursachen, den Glauben an das Schicksal als Tröster zu akzeptieren und dem Wahn des Selbstmörders das Wissen über das ewige Leben entgegenzusetzen.