Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Cicero-Interview: Sloterdijk und seine Grenzen

Foto: Rainer Lück, via Wikimedie Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Unter dem Titel „es kann nicht gut gehen“ mischt sich Großphilosoph und Wortakrobat Peter Sloterdijk im Cicero in die aktuelle Flüchtlingsdebatte ein. Er beklagt den „Souveränitätsverzicht“ der Bundesregierung, die den Sinn von Grenzen vergessen habe. Er übernimmt auch die Sicht mancher Verwaltungsrechtler, die argumentieren, die meisten Flüchtlinge seien in Wirklichkeit nur Einwanderer. „Überrollung“ nennt der Philosoph das – mit einer seiner typischen Wortschöpfungen. Unbekümmert setzt sich der Philosoph so – wohl dem Bonmot Bernhard Shaws folgend, dass „man sich vor älteren Herren fürchten sollte, denn sie haben nichts zu verlieren“ – dem Vorwurf politischer Inkorrektheit aus.

Endgültig gewagt wird die zelebrierte Furchtlosigkeit gegenüber dem politischen Establishment vor allem zum Schluss des Interviews. „Natürlich ist es den Wettbewerbern lieb, es mit einem uneinigen Europa zu tun zu haben“, liest man zunächst allgemein über mögliche Ursachen der Krise. Dann geht Sloterdijk noch einen Schritt weiter: konkretisiert seine These: „Eines Tages“, so heißt es nebulös, „werde man nachlesen können, wer die Flüchtlingsströme gelenkt habe“. Sieht der Denker, auf die politische Ebene heruntergezogen, also gar eine planetarische Machenschaft am Werke, deren Vision einer grenzenlosen Welt sich als die Umsetzung einer Idee von „one world, one religion, one currency“ zusammenfassen ließe?

Die Einschränkungen der Freiheit, die uns angesichts der ungeheuren Dynamik des entfesselten Kapitalismus inzwischen alle trifft, hat Peter Sloterdijk ja selbst in Büchern wie Weltinnenraum des Kapitals beschrieben. Daraus resultiert letztlich auch die de facto vollzogene Einschränkung politischer Souveränität von Staaten. Überraschend ist nun aber, dass er das Phänomen globaler Technik und ihrer spektakulären Folgen künftig mit Maschendrahtzäunen (Versuche nach Heidegger?) mäßigen will.

Interessant wird das Interview, wenn der Medienkritiker Sloterdijk seine
allerdings altbekannte These von der tragisch anmutenden Kooperation moderner Medien mit dem Terrorismus wiederholt. So sympathisch wie nüchtern wirkt dabei sein Bekenntnis gegen realitätsferne „Geisterkämpfe zwischen Zivilisationen“ und sein gut gemeinter Rat in Sachen Terrorangst, auf die Kraft der Gelassenheit zu setzen. Zur üblichen Hochform läuft Peter Sloterdijk auf, wenn er einen seiner frei formulierten Sätze artikulieren darf. Der „Terror ist ein Genre der medialen Entertaintmentindustrie“ – darauf muss man erst einmal kommen.

In das Thema „Islam“ führt das Gespräch mit Hilfe einer kurzen Reflexion über die Niederungen des Daseins ein. Die Frage ist dabei nicht, was die grabschenden Einwanderer in Köln mit dem Nihilismus zu tun haben, sondern ob diese Ausfälle – ausweislich der ethnischen Herkunft der Straftäter – sich auf den Islam zurückführen lassen. Immerhin windet sich Sloterdijk mit Hilfe einiger lang geratener Absätze über den „Terror“ an sich hinweg zur so richtigen, wie pragmatischen Einsicht, dass solche Vorfälle am Besten auf der „kriminologischen Ebene“ zu verhandeln seien.

Die weiteren Passagen Sloterdijks über den Islam nähren allerdings den Verdacht, dass er nach den Blendgranaten des Salafismus das zu untersuchende Phänomen selbst nicht mehr zu erkennen vermag. Oder fehlt es ihm – wie leider vielen deutschen Intellektuellen – schlicht an Wissen oder entsprechenden Gesprächspartnern? Im Cicero scheint der Philosoph den Islam, seine Geschichte und – nebenbei – die Realität von über eine Milliarde Muslime einfach von der Episode des radikalen Salafismus ausgehend zu deuten und damit auf eine neuzeitliche Ideologie zu reduzieren. Auf den Leser wirkt das eher simpel.

Schlicht töricht ist zum Beispiel seine These, der Islam – der bekanntlich aus Islam, Iman und Ihsan besteht – verfüge über keine Theologie. Offensichtlich sind ihm auch in jüngster Zeit entstandenen, gutbesuchten Fakultäten der islamischen Theologie an den deutschen und europäischen Universitäten entgangen. In Wahrheit dürften übrigens die theologischen Kenntnisse von Millionen Muslimen, die nach wie vor den Qur’an lesen, rezitieren und studieren, durchaus noch beachtlich sein.

Intellektuell interessanter ist dagegen eine andere, nicht weniger steile Aussage. Der Islam, so behauptet der Denker an anderer Stelle, habe grundsätzlich kein Potential, um eine „Zivilgesellschaft zu füllen“. Das klingt absurd; zumindest, wenn man sich alle großen Städte des Islam anschaut oder sich ihre Infrastruktur, ihre Märkte, Moscheen oder ihr Stiftungswesen vergegenwärtigt. Dem Philosoph ist wohl auch nicht bewusst, dass sich alle großen Bücher des islamischen Rechts vor allem mit ökonomischen und sozialen Fragen auseinandersetzen. Die Frage muss also lauten, wer oder was hat diese eigentümliche Zivilgesellschaft und ihre Hochzivilisationen verdrängt?

Peter Sloterdijk entgeht (zumal er vermutlich die wichtigen Beiträge von Wael B. Hallaq zu diesem Thema nicht kennt) überhaupt die potentielle Paradoxie der Idee eines „islamischen Staates“. Hier müsste man, um das Gespräch zu vertiefen, wirklich Carl Schmitt mit seiner These zitieren, dass eben alle „Begriffe der Staatslehre säkularisierte christliche Begriffe sind“. Auch das Thema der „kommissarischen Diktatur“ gehört zum Verständnis geopolitischer Zusammenhänge in der arabischen Welt unbedingt dazu. Die vollständige Politisierung der muslimischen Zivilgesellschaften nach westlichem Vorbild und das gedankenlose Kopieren der technischen Innovationen der Moderne (insbesondere der Finanztechniken) sind eben die wesentlichen Ursachen der – zugestanden augenscheinlichen – Krisen dieser Gesellschaften.