Nach Carl Schmitt ist das Wesen des Politischen die Unterscheidung von Freund und Feind.
Das Problematische dieses Satzes und seiner heutige Dynamik zeigt sich in der Beurteilung der Lage in Syrien. Es handelt sich hier nicht um einen klassischen Krieg, sondern um einen Bürgerkrieg, der als Stellvertreterkrieg wiederum Züge eines globalen Bürgerkrieges trägt. Insofern strahlen die Effekte dieses Krieges virtuell und real in unsere politische Realität aus.
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Das Wesen des Politischen ist durch neue Techniken der Macht und in seiner letzten Konsequenz durch moderne Kriegsführung verfremdet. Wenn er die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, sieht man hier auch am deutlichsten die Wesensveränderung des Politischen selbst.
Ideologische Ansätze sehen in der Vernichtung des Feindes den einzigen Weg zum künftigen „Frieden“.
Der Staat, der sich inhaltlich als Kampf gegen den Feind definiert, mobilisiert sein technisches Refugium und droht – als seine immanente Möglichkeit – selbst totalitär zu werden.
Die Unterscheidung als geistige Voraussetzung sinnvoller Positionierung wird heute durch Propaganda, Medien und eine verbreitete, unreflektierte Subjektivität erschwert. Das Subjektive konstruiert sich jeweils seine Wirklichkeit und richtet sich darin ein. Ideologische Positionen müssen die alltäglichen Widersprüche der Erkenntnis, die zum Denken stimuliert, ignorieren.
Diese unvollständige Auflistung von Phänomenen kumuliert in der Frage, wie sich politisch denkende Muslime künftig positionieren wollen. Hier geht es letztlich auch um den Diskurs um den sogenannten politischen Islam: der Diskurs der Anderen.
In einfachster Dialektik könnte man extreme Positionen, die sich um die Grade der politischen Intensität drehen, herausfiltern.
Der radikalsten Position geht es gar nicht mehr um politische Ziele, sondern um den Kampf an sich, der Verklärung des Selbstmordes und den Märtyrertod. Die radikale Position plant die Erringung der politischen Macht (umgesetzt als „islamischer Staat“ oder in der Idee eines Kalifats).
Die liberale Position dreht sich um die Etablierung der Demokratie. Sie ruft nach Intervention Dritter und hofft mehr oder weniger auf einen entpolitisierten, privaten Islam.
Der innermuslimische Diskurs stellt sich nicht ausreichend dem virtuellen und realen Bürgerkrieg zwischen den Muslimen selbst, der auf Grundlage der Dominanz des Politischen ausgetragen wird.
Die Reaktionsmuster auf das syrische Desaster schieben die Schuld entweder auf das Eingreifen böser Staaten, oder das Nichteingreifen guter Staaten. Der Krieg als verheerende Option (mit all seinen Folgen) wird dabei von beiden Positionen nicht völlig ausgeschlossen.
Egal welche (ideale) politische Ordnung optiert wird, sie muss sich immer auch mit der globalen Technik und der Wirkung des entfesselten Kapitalismus auseinandersetzen. Die Vorstellung politischer Macht findet hier ihre Begrenzung.
Die deutsche nationale Bewegung (insofern sie überhaupt noch denkt) romantisiert die Persönlichkeiten Jünger, Heidegger und Schmitt, ohne die Teile ihrer Werke zu lesen, die einem Traum der Rückgewinnung nationaler Identität gerade im Wege stehen. Sie kann Souveränitätsverlust gegenüber der Technik nicht artikulieren.
Im Moment integriert der globale Kapitalismus (noch) seine radikalsten Gegensätze und verfestigt sogar seine Macht.
Die wundersame Geldvermehrung, als am häufigsten übersehenes Herrschaftsinstrument, sowie die Ignoranz gegenüber der Geldproduktion als moralische Frage vereint dabei Freund und Feind gleichermaßen. „Revolutionen“ streben die Macht an, ändern aber in der Umsetzung nie die Eigentumsverhältnisse.
Viele Muslime bewegen sich mehr oder weniger indifferent zwischen den politischen Gegensätzen. Sie finden in sich konservative und liberale Elemente und entziehen sich gleichzeitig der Poliitsierung der Debatte, der Dialektik „Liberale“ gegen „Konservative“.
An sich steht der Islam – zumindest in seiner Tradition – für eine Mäßigung des Politischen. Das islamische Recht begrenzt politische und ökonomische Macht gleichermaßen. Jahrhunderte langt war den Muslimen das Streben nach totaler Macht und Raumbeherrschung fremd. Geschäftsleute, Gelehrte, Familien usw. bildeten beispielsweise Felder mit begrenztem Zugriff durch das Politische.
„Das wirklich Neue ist nicht einfach ein neuer Inhalt, sondern eben die veränderte Perspektive, kraft derer das Alte in einem neuen Licht erscheint.“ (Slavoj Zizek)
Die Frage ist, ob eine Wahrnehmung der realen politischen Verhältnisse den Blick auf die Grundlagen des Islam neu eröffnen könnte. Sie sind eben nicht nur politisch.
Stellt man sich das Vorhaben vor, eine Rakete auf den Mond schießen zu wollen, das mit dem Ergebnis einer Marslandung endet, spätestens dann muss man die Basis der Operation überdenken.
In dieser Lage befindet sich heute der „politische“ Islam. Eine Veränderung beginnt hier mit einem bewussten Zurücktreten sowie Skepsis gegenüber der Dynamik des Politischen an sich.