Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Antisemitismus

Seit der Intensivierung der politischen Debatte über den Islam, ausgelöst durch den modernen Vernichtungswillen des muslimischen Terrorismus, wird der Islam auch immer öfter im Kontext des Faschismus und des Antisemitismus genannt. Den Islam als totalitäre Religion darzustellen, geht einher mit dem durchschaubaren Versuch, den Islam in der Öffentlichkeit als antiquiert, rückwärtsgewandt und gefährlich einzustufen. Natürlich stehen diese Anwürfe im Gegensatz zur geschichtlichen Erfahrung des Islam, der sich unter anderem auch, gerade in Zeiten religiöser Verfolgung in Europa, durch einen funktionierenden Minderheitenschutz ausgezeichnet hat.

Der Begriff des Islamisten integriert heute auf bedenkliche Weise Terroristen, Massenmörder, Orthodoxe oder politisch denkende Muslime in einer Schnittmenge. In der öffentlichen Sicht, haben dabei diese Muslime praktisch nichts mehr mit dem Islam an sich zu tun und sind in verschiedenen, grob anmutenden Abstufungen in „gewaltbereit“ und „nicht gewaltbereit“ unterteilt. Als „Schläfer“ ist ein solcher Muslim noch nicht im Bereich des Strafrechts angekommen, aber eine latente potenzielle Gefahr. Schläfer kann wiederum jeder Muslim sein. Erste Stimmen fordern bereits angesichts diverser Bedrohungslagen die Option von Fußfesseln oder in bestimmten Lagen auch bereits eine Internierung.

In diesem in Europa einmaligen Klima ist klar, dass eine öffentliche Brandmarkung von Muslimen als Islamisten mit dem gesellschaftlichen Aus der so Bezeichneten einhergeht. Daraus folgt auch ein obskurer Machtzuwachs derjenigen Kreise, die eine solche Etikettierung – vornehmlich im Internet – vornehmen. Die Etablierung privater Verfassungsschutzkreise ist heute im Netz eine effektive und einfache Maßnahme. Es gibt bereits Internetseiten, die – ausdrücklich oder latent von Dritten fremdfinanziert – sich auf die Anprangerung von Muslimen geradezu spezialisiert haben.

Der hier dienende „Journalismus“ zeichnet sich auch durch die strukturelle Anwendung einer alten Stasi-Technik aus: der Agitation mit Tatsachen. Man muss, um diese Artikel einzuordnen, sie nicht nur genau lesen, sondern auch Kenntnis haben, welche – oft relativierenden und ebenso bekannten – Tatsachen eben auch ganz bewusst weggelassen werden. Erkenntnistheoretisch können die meisten Artikel daher eine radikal subjektive Ausrichtung entsprechender Autoren nicht verbergen. In einigen Publikationen aus dem Urwald des linken Denkens ist auch die gute – besser: schlechte – alte deutsche Denunziation integrierter Bestandteil. Alle Ideologen gleichen sich ja immer auch in der Anwendung der Mittel an.

Es sind die Hinterhöfe des Internets, in denen die Debatte über die Islamische Zeitung geführt wird. Lieblingsvorwurf auf einigen Schmuddelseiten ist dabei, die Zeitung sei rechtslastig oder gar antisemitisch. In Wirklichkeit hat die Islamische Zeitung in über einem Jahrzehnt ihres Bestehens und in Dutzenden Artikeln klar die Trennlinie zu Ideologien gezogen. Ohne jeden Zweifel definiert die Redaktion dabei den Islam als „anti-rassistisch“ und „übernational“ und entzieht die Inhalte der Zeitung damit jeder möglichen Gemeinsamkeit mit rechtslastigem Gedankengut. Eine der Fakten, die man verschweigen muss, um das gewünschte negative Bild möglichst drastisch zu platzieren.

Natürlich gibt es auch wohlgepflegt in die Welt gesetzte Märchen. Es gibt Kreise in Deutschland, die das Zitieren von Martin Heidegger schon als Indiz einer angeblichen Nähe zum Nationalsozialismus ansehen. Das ist natürlich absurd. Mein eigenes Interesse an dem Jahrhundertphilosophen ergibt sich aus einer biographischen Nebensächlichkeit, da ich als Kind eines Volksschullehrers einige Jahre in Todtnauberg gelebt habe und der Vater später einiges Kauziges vom Philosophen berichten konnte. Die späten Texte Heideggers über die Gelassenheit und die Technik haben mich insoweit beeinflusst als – soweit ich das verstehe – der moderne Nihilismus sich durch die Verbindung von struktureller Finanztechnik, Gestell und das Hervorbringen von seelenlosen Beständen auszeichnet.

Ein anderes Beispiel sich selbst entlarvender Kritik interessiert hier ebenfalls und ist für die intellektuelle Einordnung der IZ nicht unwichtig. Einer der Muttertexte der IZ-Kritik agitiert unter dem dümmlichen Titel Djihad gegen die Marktwirtschaft und will der Redaktion, mangels Fakten etwas angestrengt, Militanz und Negativität unterstellen, verkennt aber inhaltlich bewusst, dass die IZ tatsächlich und bekannter weise (falls man hier Djihad als „Anstrengung“ versteht) einen Djihad FÜR die Marktwirtschaft initiiert. Freie Marktwirtschaft setzt den gesellschaftlichen Einsatz für den freien Marktplatz voraus, als dem positiven Ort, wo Menschen jenseits der Konfessionen gemeinsam handeln.

Der Vorwurf eines Antisemitismus wird in einschlägigen Kreisen immer auch gerne mit angeblich maßloser Kritik an Israel belegt. Das ist hier schwierig. Die Positionen der Islamischen Zeitung zum Thema Israel sind differenziert, passen nicht ins gewünschte Bild und müssen deswegen verschwiegen werden. Die Idee eines Kampfes zwischen dem Judentum und dem Islam wird von der Zeitung überhaupt abgelehnt. Kritische Hintergründe über Hisbollah oder Hamas erscheinen in der Zeitung immer wieder und konterkarieren das Bild der Redaktion von angeblich zur Selbstkritik und Besonnenheit unfähigen Extremisten. Die Ächtung menschenverachtender Selbstmordattentate in Israel ist eine ebenso klare wie unbequeme Linie der inhaltlichen Ausrichtung der Zeitung.

Das Gerücht, es gebe „antisemitische“ Tendenzen in der IZ-Berichterstattung, lässt sich so von der Kritik an der IZ sehr dürftig und zumeist nur durch Assoziationsketten belegen, es sei denn, man setzt schon jede „Globalisierungskritik“ mit „Antisemitismus“ praktisch gleich.

Als Herausgeber der Islamischen Zeitung bin ich auch persönlich – ausgelöst durch unterschiedliche pawlowsche Reaktionen – als „Rechter“ (Heidegger) , „Linker“ (Kapitalismuskritik), „Mossad-Agent“ (Kritik an Selbstmordattentaten) oder „Islamist“ (alles andere) im Gespräch. Glücklicherweise bin ich als selbstständiger Rechtsanwalt nicht auf eine bürgerliche Reputation angewiesen und als Muslim auch nicht auf irgendeine öffentliche Anerkennung oder Anbiederung gepolt. Das Projekt Islamische Zeitung lässt sich auch unter widrigen Umständen und trotz indirekten Angriffen auf die Pressefreiheit noch ganz gut fortführen.

Aber natürlich gilt es auch, den selbstkritischen Blick auf Person oder Denken nicht aus den Augen zu verlieren und vor allem auch eigene Fehler im Denken nicht mit dem Islam gleichsetzen zu lassen. Zweifellos gehört zu diesen Fehlern zum Beispiel ein einmaliges, 10-minütiges Grußwort, dass ich 1993, also vor 14 Jahren, als Privatperson auf einer Veranstaltung der (alten) Kaplanbewegung gehalten habe. Ich habe mich unter dem damaligen Eindruck eines Buches, das die Feindschaft der Briten zum Kalifat beschreibt, zu dummen und unhaltbaren Aussagen hinreißen lassen. 1)

Die Veranstaltung fand damals in der aufgehetzten Atmosphäre des statt findenden Völkermordes in Bosnien statt. Ich war damals der romantischen Überzeugung, dass nur ein Kalifat die Muslime auf dem Balkan hätte schützen können. Die Unterstützung der Serben bzw. Jugoslawiens durch – wie ich zumindest meinte – Großbritannien und Frankreich war für mich eine Wiederholung der Geschichte des 1. Weltkrieges.

Zum Glück gibt es im Islam auch bei eigenen Fehlern und angesichts alltäglicher Gebete um Vergebung nicht das Konzept ewiger Schuld.

Spätestens in unserer Weimarer Zeit haben wir uns dann de facto anti-faschistischen Aktionen gewidmet. Wir waren damals begeistert von der Idee, dass wir in einer kleinen Gemeinde im Osten nicht etwa ideologisch, sondern alltäglich praktisch und einfach als Muslime zusammenleben könnten. Dabei war uns klar, dass dies – wie es in der entsprechenden damaligen Broschüre ausdrücklich hieß – „im Rahmen der deutschen Gesetze“ geschehen sollte (dieser einschränkende Satz wird, obwohl mitten im zitierten Text, in entsprechenden Zitaten einer „Fachjournalistin“ übrigens immer bewusst weggelassen). In diese Zeit fällt auch die Gründung der Islamischen Zeitung im Jahre 1995. Seit diesem Zeitpunkt dokumentieren tausende Bilder die Positivität unseres Ansatzes.

Als echten Antifa-Einsatz verstehe ich übrigens unseren intellektuellen Einsatz im Bosnienkrieg Mitte der 90er Jahre, ebenso wie unsere journalistische Aufarbeitung des ersten Tschetschenienkrieges oder das Engagement muslimischer Anwälte bezüglich des Schicksals der Uiguren. Als Schüler in einem badischen Gymnasium habe ich mit meiner damaligen Klasse in den 80er Jahren dreimal das Konzentrationslager Struthof im Elsaß besucht. In bleibender Erinnerung ist nicht nur das beklemmende Schicksal der ermordeten Juden, sondern auch überhaupt das wahrlich „moderne“ Phänomen des Lagers geblieben. Von unserem Geschichtslehrer haben wir gelernt, dass es nie mehr religiöse Verfolgung in Europa geben darf. Ich fand es später einigermaßen empörend, dass eine junge Generation von antifaschistischen Salonhelden auf die Einrichtung von faschistoiden Lagern in Bosnien, nur wenige hundert Kilometer von München, mit Ignoranz und Gleichgültigkeit reagierte.

Zu meinem Verständnis des Antifaschismus gehört die bedingungslose Ächtung von Lagern, wo immer sie angedacht oder gar gebaut werden.

Wer genauer hinschaut, sieht, dass die herbste Kritik an der Islamischen Zeitung erstaunlicherweise mit romantischen Lobpreisungen des Neo-Kapitalismus einhergeht. Die abstruse Idee einer jüdischen Weltverschwörung, die angeblich alle Globalisierungskritiker verbinden soll, ist natürlich nichts anderes als eine diffamierende Beleidigung derjenigen, die das Thema ernsthaft bewegt und der Versuch, einfache moralische Betroffenheit über die gigantischen Opferzahlen, die der Kapitalismus bis heute produziert, zu diskreditieren.

Wie dumm müsste man sein, um nicht zu verstehen, dass das Ereignis der Technik und die Entfesselung des Kapitals nicht das Ergebnis von irgendwelchen Weltverschwörern ist, sondern das Ergebnis der Abwendung des Menschen überhaupt von ihm offenbarten ökonomischen Gesetzlichkeiten. Darüber hinaus kann man, nebenbei erwähnt, das tiefe Paradox nicht übersehen, dass in der islamischen Welt der Glaube an Technik und Kapitalismus (siehe Islamische Bank) den Westen selbst beinahe noch übertrifft.

Bei einigen radikalen Gegner der Muslime werden theologisch bedingte Debatten über das Judentum, die man aus dem Koran ableiten kann, sofort als allgemeiner Aufruf zu modernem, politischen Antisemitismus gelesen und ohne Umschweife als neuer Faschismus mit dem Wahnsinn und modernen Vernichtungswillen der Nazis gleichgesetzt. Dieser Ansatz bleibt infam. In einem brillianten Artikel hat Umberto Eco im Cicero 2004 festgestellt, dass der Schoß des Antisemitismus in Europa liegt. Eco stellt fest, dass der religiöse Antisemitismus Europas und seine Behauptung die Juden seien ein gottesmörderische Volk gewesen, die Verantwortung für den völkischen Antisemitismus trägt. Als deutsche Muslime, die den Holocaust als Teil deutscher Geschichte erfahren, ist die Notwendigkeit die Trennlinie zwischen modernen Ideologien und Islam zu ziehen zweifellos Teil des Projektes den Islam in Deutschland vorzustellen.

Appendix:

1) Abdurraschid Ibrâhîm Efendi schreibt im Kapitel ‚Die Feindschaft der Briten’ im zweiten Band seines 1328 n.d.H. (1910) in Istanbul gedruckten Buches „Âlem-i Islâm“, „Die Welt des Islâm“: „Die Abschaffung des Islamischen Khalifats ist der erste Gedanke der Briten. Dass sie den Krim-Krieg provozierten und dabei den Türken zur Seite standen, war ein Trick zur Zerstörung des Khalifats. Das Abkommen von Paris legt diesen Trick offen. Jedes Unglück, das über die Muslime kam, gleich wie es auch bedeckt und präsentiert wurde, kam von den Engländern. Das Fundament der britischen Politik ist die Zerstörung des Islâm. Denn sie fürchten sich vor dem Islam. Um die Muslime zu betrügen, setzen sie käufliche Charaktere ein. Diese werden als Gelehrte über den Islâm oder als Helden präsentiert. Lange Rede, kurzer Sinn: die größten Feinde des Islâm sind die Briten.“ Abdurraschid Efendi starb im Jahre 1363 n.d.H. (1944) in Japan.