Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Assoziationstechnik

Jeder Mensch, der in Öffentlichkeit steht, oder sie sucht, wird mit guter, belegbarer, fundierter und auch harter Kritik umgehen müssen.

Bei dem Phänomen der Assoziationstechnik geht es nicht um diese Kritik, sondern um etwas anderes. Nicht unbedingt um den Streit der Inhalte, sondern um die lose Assoziation des Gegners mit allseits geächteten Phänomenen wie „Antisemitismus“, „Nationalsozialismus“ oder einschlägigen Lagern wie den „Fundamentalisten“, „Rechten“, „Linken“ oder „Sekten“.

Im Kontext des Islam ist auch die politische Kennzeichnung und moralische Bewertung von Muslimen beliebt. So werden gerne gute Muslime als „Liberale“ und böse Muslime als „Konservative“ mit bestimmten staatsfeindlichen oder -treuen Eigenschaften assoziiert. Die Folge davon ist, dass jeder Muslim, der in der Öffentlichkeit steht, seine Liberalität fortlaufend versichern muss – quasi sicherheitshalber.

Machen wir uns nichts vor: Es handelt sich bei all diesen Anwendungen der Assoziationstechnik um eine Form der „suchmaschinenkompatiblen“ Gegnerbekämpfung.

Die Veränderungen, die Menschen in dieser Atmosphäre der gegenseitigen Überwachung machen, ist eher schleichender Natur. In der Wissenschaft spricht man vom so genannten Chilling Effect; das heißt, im vorauseilenden Gehorsam beschränken sich Menschen zunehmend selbst, zum Beispiel um etwaige spätere Konflikte zu vermeiden. Sie müssen im Licht der Assoziationstechnik de facto vermeiden, in bestimmte, dunkle Assoziationsketten eingefügt zu werden.

Der Virtuosität des Assoziationstechnikers sind kaum Grenzen gesetzt. Je nach eigenem Charakter kann er offiziell, anonym oder unter falschen Namen agieren. Das Internet bietet ihm in jedem Fall die ideale Ressource unzähliger Montagemöglichkeiten an. „Wer X trifft, liest oder mit ihm streitet, in seiner Nähe war, ist mit mit allen Assoziationsmöglichkeiten jener X-Welt assoziiert“, denkt zum Beispiel der Assoziationstechniker.

Assoziationstechnik ist bewusst oberflächlich gehalten, aber in ihren Wirkungen durchaus effektiv. Sie bedient sich moderner Techniken wie „Google“, die dem Assoziationstechniker alle bestehenden Assoziationsmöglichkeiten anbietet, verknüpft und gleichzeitig verwaltet. Sehr effektiv funktioniert sie so als eine Praxis, die bestimmte Personen einer Minderheit aus dem Diskurs drängen kann, da sie geschickt mit den anwesenden Traumata der Mehrheitsgesellschaft spielt.

Es gibt natürlich auch immer mehr Menschen, die sich aus verschiedensten Gründen keine Verdächtigungen und Assoziationen leisten können. Diese Phänomen verstärkt das subtile Machtgefühl des Assoziationstechnikers.

Der Assoziationstechniker ist insoweit nur ein Techniker, als er nicht nur eine inhaltliche Prüfung nicht betreibt, im Grunde auch den eigentlichen Vorwurf nicht argumentieren könnte, und so die direkte Begegnung mit Person und Inhalt bewusst meiden muss. Sein Ziel (und die Gewalt gibt ihm seine Technik) ist im schärfsten Fall die Schaffung einer neuen, virtuellen Persönlichkeit seines Zielobjektes, die allein seinen eigenen Vorstellungen entspricht.

Hierbei gibt ihm das Internet auch neue Möglichkeiten der Verwaltung seiner gesammelten Informationen – sei es in Form privater Datensammlungen, Dossiers oder virtueller Akten.

Die Motivation der Assoziationstechniker ist durchaus verschieden: Wir finden den mit Pseudonymen verkleideten Heckenschützen, den arglosen Multiplikator, den politischen Voyeur, den politisierten Richter, den harmlosen Hobby-Aufklärer, den ulkigen Spaßmacher, aber auch den intelligenten Mitarbeiter des privatisierten Verfassungsschutzes.

Auf lange Sicht schafft die Assoziationstechnik eine Atmosphäre des Misstrauens, der Angst, des Argwohns und der gegenseitigen Überwachung.

Die Massen der „verdächtigen“ Daten, die die „sozialen Netzwerke“ so liefern, geben auch dem Staat neue Möglichkeiten, entweder Assoziationstechniken selbst anzuwenden oder aber mit Hilfe des sozialen Drucks, der aus den Assoziationen entsteht, seine „Idealbürger“ zu formen.

Je nach Natur des Staates wachsen die Verführungen totaler sozialer Kontrolle. So hat China bereits auf Grundlage von „Big Data“ ein soziales Bewertungssystem (Sozial Credit System) entwickelt, das den „Bürger“ in seiner Nützlichkeit oder Gefährlichkeit für den Staat beurteilt.

Wir ahnen bereits, die romantische Idee der Gewaltenteilung wird im Zeitalter der totalen Datenerfassung und Datenmacht obsolet.