Das offizielle Ende des meist gesuchten Verbrechers der Welt passte ins Bild und wird (soll?) wohl neue Verschwörungstheorien auslösen. Wieder einmal gab sich die amerikanische Regierung relativ wenig Mühe diese Theorien mit nachprüfbaren Fakten eindeutig die Grundlage zu nehmen. Die sterblichen Überreste Bin Ladins wurden in einer „islamischen“ Seebestattung schnell ins Meer geworfen und so verschwindet der Mann so mysteriös wie sein Mission begann.
Ob er in dieser Nacht wirklich starb, oder viel wahrscheinlicher seit Jahren tot ist, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Als janusköpfige Gestalt, erschaffen im Dunstkreis radikaler islamischer Strömungen und pakistanisch-amerikanischer Geheimdienstkreise, wird er so oder so in die Geschichte eingehen.
Ja, sein Mythos hat die Welt verändert. Er galt als die Inkarnation des Bösen, als der High-Tech Terrorist, der angeblich aus einer Höhle am Hindukusch operierte. Ein Mann, der nicht zu letzt auch als medienwirksame Vorlage für den Krieg gegen den Terror – mitsamt all seiner geopolitischen Aspekte – diente. Eine der wichtigsten Funktionen des Terrorismus war dabei, als das Böse schlechthin, im Umkehrschluß das Gute schlechthin mitzuschaffen. Die Politik des absolut Guten und des absolut Bösen konnte sich so jenseits der alten Grenzziehungen des Rechts bewegen.
Die Wirkungen des Terrors sind noch immer nachhaltig. Vom Balkan bis nach Indien müssen Millionen Muslime sich beinahe alltäglich von ihm deassoziieren. Über ein Jahrzehnt war die Frage nach dem Islam von den abscheulichen Bildern des Terrors verschüttet. Nur für eine Handvoll islamischer Fanatiker, Chaoten und nützliche Trottel mag Bin Ladin wohl tatsächlich als authentische religiöse Figur gegolten haben. Fakt bleibt aber, wer immer Bin Ladin war, sein mysteriöses Leben hat den Muslimen in aller Welt bis heute ungeheuren Schaden eingebracht. Der „Mann aus der Höhle“ hat zweifellos auch zehntausende unschuldige Muslime auf dem Gewissen.
Zu Recht bewertet Wolfgang Günter Lerch in der heutigen FAZ den Untergang Bin Ladins unter der Überschrift „aus der Welt von gestern“. Die absolute Mehrheit der Muslime mag – wie die Araberrebellion ja zeigt, nicht genau wissen was sie will, aber sie ruft sicher nicht nach einem „Gottesstaat“ auf ideologischer Basis. Schon länger ist die Idee und Logik des „Islamismus“ so tot wie Bin Ladin selbst. Lerch fasst die Lage durchaus treffend zusammen:
„Weder West noch Ost, sondern Islam“ lautet die Formel der Islamisten. Die bunte Menge derjenigen, die nun zwischen Tunis und Sanaa demonstrieren, folgt jedoch einer anderen Parole: „Weder Militärdiktatur noch islamistische Despotie, sondern Freiheit“ (hurriya)“.
Wie man „Freiheit“ in der Zeit des entfesselten Kapitalismus definiert, ist tatsächlich die Frage dieses Jahrhunderts. Die Muslime haben hierzu einen eigenständigen und konstruktiven Beitrag. Nach dem Ende des Islamismus dürfte endlich die ökonomische Seite des Islam entdeckt werden. Es sind die Themen für morgen.