Zu den faszinierenden Begriffsbestimmungen in Ibn Khalduns Muqqadima gehört Asabiyya. Asabiyya ist ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Muslimen jenseits ihrer Herkunft, ihr Wille, gemeinsame Ziele zu verfolgen. So gesehen ist die aktuelle Lage in Palästina das Gegenteil des organischen Zusammenwirkens von Muslimen. Der Kampf um Macht, Geld und Staat endet im Chaos. Statt muslimischer Solidarität sind nun säkulare und islamische Ideologien am Ruder, die nichts anderes als einen „Bruderkrieg“ und „Anarchie“ auslösen.
Die arabischen Herrscher müssen sich so in diesen Tagen notgedrungen als Schwarzseher sehen. König Abdullah von Saudi-Arabien warnte bereits die anderen Herrscher am Golf vor der anstehenden Revolution der Massen: „Unsere arabische Region ist zahlreichen Gefahren ausgesetzt, sie ist wie ein Pulverfass, das ein einziger Funke zur Explosion bringen kann.“ Als gefährlichste Brandherde sieht der König aus Riad den Irak, den Libanon und die Palästinensergebiete. „Am Gefährlichsten für die Sache (der Palästinenser) ist der Konflikt zwischen Brüdern“, warnt der saudi-arabische Monarch zu Recht. Die meisten arabischen Herrscher wären wohl insgeheim sowieso froh, wenn sie die radikalislamische Hamas politisch ins Abseits manövrieren könnten. Darauf deutet zumindest der kühle Empfang hin, der ihren Führungspersönlichkeiten in den vergangenen Wochen in mehreren arabischen Hauptstädten bereitet wurde.
Für muslimische Juristen ist die typisch moderne Mischung zwischen Technokratie, Ideologie und der verbreiteten Akzeptanz von Selbstmordattentaten ein Gräuel und die politische Geschichte der Hamas so oder so keine Erfolgsgeschichte und im Ergebnis im klaren Gegensatz zum in der Offenbarung versprochenen Erfolg. Wer die Geschichte des Propheten kennt, wird auch mit den Feindbildern des iranischen Präsidenten oder der Hisbollah wenig anfangen können. Die geistige Gründung der eigenen politischen Ordnung in einer Feindschaft gegenüber den Juden zu finden, hat im Islam in Wirklichkeit keine Tradition.
Die Konflikte zwischen den „arabischen Brüdern“ machen inzwischen sogar mehr Sorge als der Aufstieg des Nachbarn Iran zur Nuklearmacht. Saudi-Arabiens Monarchie ist in einer besonders schwierigen Lage und versucht sich mit einem High-Tech-Zaun gegen radikale Schiiten, Terroristen und – zumindest dabei dürfte allerdings der Zaun wenig helfen – gegen kapitalstarke Globalisierer zu schützen. Die Frage nach einer post-terroristischen und post-ideologischen Ordnung bleibt in der zerrissenen Region aktuell.