„Es ist allgemein bekannt, daß der Schließen-Knopf in den meisten Aufzügen ein völlig funktionsloser Placebo ist, um den Individuen den Einfluß zu vermitteln, sie hätten irgendeinen Einfluß auf die Schnelligkeit mit der der Aufzug arbeitet. Dieser extreme Fall vorgegaukelter Partizipationsmöglichkeiten ist eine passende Metapher für die Einflußmöglichkeiten der Individuen auf unserern „postmodernen“ politischen Prozeß.“ (Slavoj Zizek)
„Den Großteil seiner Rede widmet Beckstein also der Verteidigung des Abendlandes gegen den EU-Beitritt der Türkei. Dass eine Unionsregierung dabei nicht sehr viel zu sagen hat, ist in Germering völlig wurscht. Dann erfreut er die Zuhörer mit Anekdoten aus seiner Amtsführung, wie er beispielsweise einen Imam zuerst besucht und ihm dann die Polizei vorbeigeschickt hat, weil ihm der Imam gesagt habe, Herr Beckstein, noch können Sie freiwillig zum Islam konvertieren, in ein paar Jahren machen wir das zwangsweise.“ (taz am 13.9.2005 über den CSU-Wahkampf)
Auf weit mehr als 1.400 Milliarden Euro ist der Schuldenberg Deutschlands gewachsen, mit steigender Tendenz. Im Wahlkampf aber spielt die Sanierung der maroden Staatskassen und die damit verbundene dramatische Einschränkung der politischen Möglichkeiten kaum eine Rolle. Der Streit um Steuerkonzepte und die Höhe der Mehrwertsteuer überdeckt alles. Das Dilemma: Aus Unzufriedenheit über die Reformpolitik der SPD soll diese Regierung abgewählt und eine Regierung an die „Macht“ kommen, die noch radikaler reformieren will. Ein „gelöster“ Kanzler wirbt um den Wähler, wissentlich, dass es keine rationale politische Konstellation mehr gibt, wo er selbst Kanzler bleiben kann. „Wissen Sie, was unser Beruf ist?“, setzte ein Politiker in Rufin´s „Globalia“ an: „Theater, weiter nichts!“
Ernst Jünger hat einmal – nach dem Machtwechsel zwischen Helmut Kohl und Helmut Schmidt – lapidar in sein Tagebuch geschrieben: „Ein Helmut kommt, ein Helmut geht“. Die großen Gegensätze der politischen Entwürfe von CDU und SPD bleiben auch heute nebulös. Die Realität der neuen globalen Wirtschaftsordung führt schon längst zur „großen Koalition“ des Denkens. „Es gibt nichts“, schreiben Hardt und Negri, „,kein nacktes Leben, keinen externen Standpunkt, der sich außerhalb des monetären Raums gestalten ließe; dem Geld entgeht nichts. (…) Die großen Industrie- und Finanzmächte produzieren nicht nur Waren, sondern auch Subjektivitäten. Sie produzieren Agenzien innerhalb des biopolitischen Zusammenhangs: Bedürfnisse, soziale Verhältnisse, Körper und Intellekte – sie produzieren mithin Produzenten.“
Wahlkampf. Im politischen Sommerschlußverkauf gelten die ermüdende Gesetze der Werbung und des Verkaufs. Da wird das Persönliche, Plakative wichtig. Das Angenehme am Bundeskanzler Schröder – zumindest aus muslimischer Sicht – ist dabei, dass er eine Dialektik gegen den Islam oder gegen die Türkei zur eigenen Profilierung nicht nötig hat. Bei den konservativen Technikern der Macht ist der hilflose Versuch, ein bißchen christlich-konservatives Profil in dieser Debatte zu erlangen, nicht zu übersehen.
Es fällt auf, dass die Muslime als Wähler kaum angesprochen werden. Es fehlt an KandidatenInnen und an der Überzeugung der Parteien, dass diese Gruppe überhaupt relevant ist. Eine öffentliche Veranstaltung mit lokalen Abgeordneten in Hamburg mobilisisierte gerade mal 50 Muslime. Die Muslime sind als öffentliche Gruppe kaum mehr in der Wahrnehmung und tauchen zunehmend ins „Private“ ab. Dieser Vorgang dokumentiert die Macht der Öffentlichkeit und die Ohnmacht des Einzelnen. Der Versuch der muslimischen Verbände, durch einen zentralen Zusammenschluss (mit jährlichem Treffen) ein öffentliches Gegengewicht zu bilden, bleibt schwach. Als politische Aktion ist sie die aktuelle islamische Variante moderner Parteienpolitik: Aktenköffer, Koalitionen, Hinterzimmer.
Die Idee der politischen Repräsentanz setzt voraus, dass es etwas zu repräsentieren gibt. De facto ist aber das islamische Leben an vielen Orten gelähmt. Gerade der Zentralismus von oben – von der vorgekauten Freitagspredigt bis hin zur Pervertierung der Zakat – hat die soziale und kulturelle Dynamik vieler Moscheegemeinden (und ihre Basisdemokratie) vor Ort gebrochen. Was wirklich nötig wäre, ist weniger große Politik, als das Ende der Ghettoisierung der Muslime in nationale Entitäten, das Schaffen von Infrastruktur für alle Muslime und die lokale Übernahme von Verantwortung. Es bleibt abzuwarten, ob die Verbände mit ihren „nationalen“ Verortungen und Interessen hier Teil der Lösung, oder aber das Problem sind.
Gadamer hat einmal gesagt: „Ein Politiker braucht die Anerkennung wie die Luft zum Atmen“. Da es keine Öffentlichkeit und kaum Solidarität zwischen Muslimen gibt, bleibt nur die Jagd nach Anerkennung in den Medien. Die Fleißigen unter den muslimischen Repräsentanten kommen auf hunderte Termine im Jahr, darunter ist eine handvoll Termine dem Gespräch mit Muslimen gewidmet. Das Gespräch zwischen Muslimen oder gar eine interne Anerkennung gibt es dagegen nur höchst selten. Ist es völlig falsch, wenn man ahnt, dass es den Muslimen in Deutschland weniger an neuen Polit-Dinosaurierverbänden, sondern wirklich an kreativen Ideen fehlt? Der Aufbau einer islamischen Zivilgesellschaft, den Stiftungen zum Beispiel, einem Markt, einer neuen Architektur – Ideen, die der Gesellschaft das positive Angebot der Muslime verdeutlichen. Es wächst die Gefahr, dass bald nur noch eine Jahresversammlung, Kopftuch und Bart übrig bleiben.