Mathias Döpfner ist schon alleine deswegen eine interessante Figur, weil sein eigenes Leben zeigt, wie „Zufälle“ die eigene Karriere auf schicksalhafte Weise befördern können. Die „Glückssuche des Individuums“ war erfolgreich. Döpfner ist heute Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG und gehört – in einer Zeit, wo Medien auf bisher unbekannte Weise „Politik“ beeinflussen können – sicher zu den mächtigsten Männern in Deutschland.
Auf der Webseite welt.de veröffentlichte Döpfner heute einen Beitrag (wohl unter dem Eindruck der Verhaftung zweier Journalisten aus dem eigenen Hause im Iran), der noch einmal kämpferisch das eigene politische Weltbild umreißt. Es ist ein Bild mit Schwarz-Weiß Schattierungen. Der Titel „der Westen und das höhnische Lachen der Islamisten“ deutet schon auf die Bewertung der Lage aus seiner Sicht hin: Man lacht angeblich über uns. Wer hat das schon gern?
Die Realität ist nicht zum Lachen. Auf der einen Seite stehen die hochgerüsteten – angeblich aber wehrlosen – Staaten des Westens, die meisten von ihnen Atommächte, auf der anderen Seite einigen zehntausende Islamisten gegenüber. Diese fordern – endgültig seit dem 11.9. – den Westen heraus. Diese Raudis stürzen unsere Demokratien – so Döpfner – in einen „Überlebenskampf“, der uns bereits heute einen permanenten „Ausnahmezustand“ aufzwingt. Diese Gegenüberstellung der Kräfte wird zu Recht in der Literatur als eine asymmetrische Situation beschrieben.
Zunächst kann man als denkender Mensch durchaus die Abneigung des Medienmanagers gegen das iranische Staatssystem nachvollziehen. Offen gestanden, wer will schon gerne in diesem Staat leben, dessen despotische Verfassung eine merkwürdige Mischung aus Kapitalismus und Religionspolizei ermöglicht und dessen Bevölkerung – nach Jahrzehnten der öden Dialektik gegen die USA – heute ganz gerne etwas mehr „amerikanisch“ leben würde?
Auch die Hisbollah und ihr Habitus der Revolution – mitsamt ihren abscheulichen Selbstmordattentaten – wirft nach Döpfner (aber natürlich nur, wenn man all dies fälschlicherweise mit dem Islam gleichsetzt, und wenn man sich eben nicht gegen deren fatalistische Strategien aussprechen würde) ein fatales Licht auf uns Muslime und unsere positiven Erwartungen an die Zukunft. Im Islam heiligt der Zweck nicht die Mittel. Es gehörte zweifellos zu den Errungenschaften des islamischen Rechts und des internationalen Rechts, den Krieg zu hegen. Insoweit stellt die absurde Möglichkeit einer – auch noch als „islamisch“ bezeichneten – Atombombe jeden Intellekt auf eine ernste Probe. Ein Iran mit Atombombe wäre auch für Millionen Muslime in der Region eher eine düstere Option.
Besonders fatal wird dies zugegebenermaßen, wenn diese Aussicht auf die größte Zerstörungskraft sogar Glaubensinhalte der Muslime derart verändern sollte, dass man dem Irrglauben anheim fällt, diese Bombe zu haben sei gleichbedeutend mit „Macht“. Alle Ideologien entfernen sich von der traditionellen Sicht des Islam, wonach der Mensch über keine Macht verfügt. Junge, ungebildete Muslime wird heute oft eine Ohnmacht eingeredet, die dann durch vom Islam entfremdete Ideologien angesprochen wird.
Döpfner missversteht den „Islamismus“, wenn er glaubt, dieser sei nicht modern. Der Gedanke beziehungsweise das Raumkonzept, dass eine Welt zu erobern sei und der zynische Glaube, eine Welt ohne Feinde sei dann eine bessere Welt, ist durch und durch modern. Über viele Jahrhunderte war weder Vernichtung noch Raumbeherrschung überhaupt das Ziel von Muslimen. Die gesamte revolutionäre Terminologie mitsamt der explosiven Begeisterung für Vernichtungstechnologie ist modern. Die Politisierung – und die damit einhergehende Entrechtlichung des Islam –gehört ebenso zur Modernisierung.
Wie bei jeder, mit religiöser Inbrunst vorgetragenen, Freund-Feind Unterscheidung läuft Döpfner Gefahr, die eigene (seine „westliche“) Position schon deswegen schönzuschreiben, weil es verführerisch ist, mit dem Grundsatz „ich bin gut, weil sie böse sind“ zu agieren. Der nächste bekannte Schritt in dieser denkfeindlichen Logik gehört dann schon zur Sprachwelt des Krieges: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Wenig überraschend ist, dass Döpfner auch die „Orte ohne Ordnung“ nicht erwähnt. Diese erinnern heute fatalerweise im Umgang und in der Verfahrensweise mit wirklichen und angeblichen Gegnern gerade an mittelalterliche Diktaturen. Weil dem leider so ist, muss das passende Feindbild auf eine maximale Erregungs- und Empörungsstufe gesteigert werden.
Wir haben nach dieser hitzigen Eingabe Feinde, die keine wirklichen Menschen mehr sind, und die – wie wir von ihm lernen – angeblich bereits mit „Atombomben“ auf uns zielen. Auch die Vereinfachung hin zur angeblichen Einheitsfront aller Islamisten ist eher eine Phantasie. Wer aber in der Erwartung dieser Apokalypse lebt, wird natürlich künftig alle Mittel der Abwehr als moralisch gerechtfertigt betrachten. Die Aussicht, diese „präventive“ Haltung könnte auch zu einer innenpolitischen Maxime werden, erschrickt heute viele Menschen zu Recht.
In seiner Empörung über die wenig romantische Lage muslimischer Nationen vergisst es Döpfner zu erwähnen, dass praktisch keines der despotischen Schlüsselregime der islamischen Welt auch nur einen Tag ohne die Hilfe der USA überleben könnten. Ein anderes Kapitel wären die endlosen Machenschaften, einschließlich der Akzeptanz von Angriffskriegen, die die geopolitischen Interessen der westlichen Welt bis heute absichern. Ist es ein Wunder, dass all diese Eingriffe in die natürliche Entwicklung ganzer Völker nicht ganz ohne Blessuren für uns ablaufen?
Mein entscheidender Punkt ist aber ein ganz anderer und hat eigentlich tiefer mit der mangelnden Eigenreflexion unserer bürgerlichen Eliten zu tun. Es geht hier um die völlige Trennung zwischen eigener Verantwortung und ökonomischen Handeln. Es geht um das notwendige zweite Kapitel der Aufklärung, die die ökonomische Dimension der westlichen Welt nie wirklich untersucht hat. Die moralisierende Anmerkung Döpfners, dass bisher kein einziges Geschäft mit den von ihm genannten Regimes etwa an unseren vielbesungenen Werten zerbrochen wäre, ist wahr, genügt aber nicht.
Döpfner vergisst in seiner „politischen“ Welt aus Freund und Feind die ungeheuren Opfer, die unser ökonomisches System seit Jahrzehnten anrichtet. Wir scheinen an diesen dunklen Fakten nach unserem Selbstverständnis überhaupt nicht mehr beteiligt, geschweige denn, für ihre Auswirkungen verantwortlich zu sein. Wir sind nach den Gewohnheiten dieses antiquierten Weltbildes nur für das politische Feld verantwortlich. So ist es kein Wunder, dass sich die Bücher Jean Zieglers über den eigentlichen Skandal unserer Zeit nicht annähernd so gut verkaufen lassen,wie das rührselige Wehklagen Thilo Sarrazins um den angeblichen Untergang der Deutschen.
Döpfner beschränkt seine „Kapitalismuskritik“ allein auf die böse „chinesische“ Variante des autoritären Kapitalismus, ohne die eigene irrationale Schuldenlogik des Westens, die unsere politische Freiheit und die Marktwirtschaft ad absurdum zu führen droht, auch nur anzutippen. Es gibt nicht nur eine kapitalistische Ideologie; der Kapitalismus selbst ist eine moderne Variante des Materialismus und der blinde Partner aller „gottlosen“ Ideologien.
Überhaupt verläuft hier auch die eigentliche Trennungslinie zu einer vernünftigen Gefahrenprognose: Wir werden auf Dauer nicht von Ideologien bedroht. Terrorismus mag uns im In- und Ausland eigene Jahre lang schrecken, ablenken und beschäftigen. Er vermochte aber nicht die demokratischen Strukturen selbst – wie dies im globalen „Coup de Banque“ bereits geschah – aufzulösen. Ganz abgesehen davon, dass unsere Art des maßlosen Wirtschaften den Planeten an den Rand des Kollaps geführt hat.