„Kierkegaard lebte genau in der Zeit, die Habermas so preist: Cafés und Zeitungen waren in ganz Europa auf dem Vormarsch, eine neue demokratische Öffentlichkeit bildete sich heraus. Kierkegaard aber machte es zunehmend Sorgen, dass immer mehr Meinungen im Umlauf waren, dass es allzu leicht war, Menschen für beliebige Anliegen zusammen zu trommeln, dass niemand sich irgendeiner Sache tief verpflichtet fühlte.“ ( aus „Das Unbehagen an der digitalen Macht“ Faz.net)
„Ist das Internet ein Medium der Emanzipation und des Umsturzes – oder ein Werkzeug der Kontrolle und der Unterdrückung?“, fragen sich Clay Shirky und Evgeny Morozov auf Faz-net. Die Doppeldeutigkeit der modernen Medien ist bekannt, einerseits kann jeder/jede sich an der Debatte beteiligen und beliebig Informationen in Umlauf setzen, andererseits, trägt die allgemeine Meinungsinflation nicht auch gleichzeitig zur Atomisierung der Einzelnen bei?
„Ist die gleichzeitig zu beobachtende politische Demobilisierung der Straße ein Zufall und die Facebook-Demo-Gruppe wirklich ein relevanter Ersatz?“ könnte man fragen. „Was ist ein Tick mit dem Finger zum „Teilen“ im Vergleich zu den Anstrengungen echter Solidarität?“ könnte man argwöhnen. Zweifel über die Qualität von virtuellen „Freunden“ und die praktischen Mobilisierungsmöglichkeiten sind in der Facebook-Welt angebracht, zweifellos gegeben sind alleine die neuen Möglichkeiten der Überwachung und Kommerzialisierung sozialer Zusammenhänge. Aber, und das ist die angesprochene Doppeldeutigkeit, es ergeben sich eben auch neue Möglichkeiten der sozialen Koordination, von China über den Iran bis Island.
Die Frage dürfte sein, wie und mit welcher Philosophie man im Dickicht der neuen Medien die Unterscheidungsmöglichkeiten und die eigene Urteilskraft bewahrt. Die Trennlinie zwischen Information und Wissen ziehen zu können, entscheidet über die Qualität geistiger Auseinandersetzungen. Jean Christophe Rufin hat auf der Lit.Cologne in Köln das Problem so auf den Punkt gebracht: die Überflutung der Gesellschaft mit Information ist die beste Zensur. Nicht nur das, die „unvergessliche“ Google-Akte, zu der jedermann/frau beitragen kann, hat längst die alte, handgeschriebene Stasi-Akte rechts überholt, mitsamt den subtilen Möglichkeiten eines „privatisierten Verfassungsschutzes“. Nirgendwo besser als im Netz lässt sich, wie das so schön bei der guten alten ADN hieß, „mit Tatsachen agitieren“. Aber, auch nirgendwo kann man besser alternative Meinungen einholen, die in den kapitalintensiven Mainstreammedien kaum noch Gehör finden.
Wie allgemein bei der Bewertung von technologischen Errungenschaften scheitern die gewohnten Muster von „gut“ und „böse“, berühren sich die Möglichkeit der „Befreiung“ und „Versklavung“ gleichermaßen und damit bleibt eine gelassene Haltung wohl die einzig mögliche Verhaltung.