„Rechte Populisten bieten in dieser Hinsicht nur ihre trostlose These über die angebliche Feindlichkeit und Nicht-Integrierbarkeit der Muslime an. Es sind die Muslime selbst, die die europäischen Gesellschaften vom Gegenteil überzeugen können. Es wäre fatal für Europa, wenn hier geborene und lebende Muslime sich künftig nicht als europäische BürgerInnen verstehen.“
(iz). In einem interessanten Gastbeitrag in der FAZ am Sonntag fordert die Präsidentin der europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, ein neues europäisches Bauhaus. Dabei spielt sie mit ihrem Beitrag auf die herausragende Rolle der Bauhaus-Bewegung in der Gestaltung des Überganges zur Industriegesellschaft im 20.Jahrhundert an. KünstlerInnen, Architekten und Designer hatten damals gemeinsam an der Vision einer modernen Gesellschaft gearbeitet. Eine neue Initiative im Geist des Bauhaus, so schlägt die Präsidentin vor, soll nun nicht nur den europäischen Green-Deal unterstützen, sondern auch die urbane Entwicklung unserer Städte mit kreativen Vorschlägen begleiten und der digitalen Revolution dieser Tage neue Anstöße verleihen.
Tatsächlich ist die alte Idee der Bauhaus-Pioniere, eine Einheit zwischen Architektur, Kunst und Technik zu wahren, heute wieder aktuell. Hinzukommen die politischen Sorgen, die eine Parallele zur Weimarer Republik und der Dynamik ihrer ideologischen Konflikte ziehen. Das Bauhaus in Weimar stand inmitten einer Parallelentwicklung, zwischen Kollektivismus und der „Technisierung des Lebens“. Auch neue Medien wie der Rundfunk und das Kino verändern die gesellschaftliche Situation und ermöglichen die Mobilisierung der Massen.
Die Bauhaus-Bewegung versuchte insbesondere durch eine neue Architektur, die soziale Kunst sein sollte, die neuen Möglichkeiten des modernen Lebens auszuloten. Überhaupt wollte die Bewegung Kunst und Technik versöhnen und das Leben der Menschen so verbessern. Der Funktionalismus der 1920er Jahre schreibt der Architektur in erster Linie eine gesellschaftliche und soziale Funktion zu. „Statt Kathedralen die Wohnmaschine“ schrieb Oskar Schlemmer etwas überspitzt einen neuen Schwerpunkt moderner Architektur. „Es bleibt das Metaphysische – die Kunst“ fügte er in seinem Tagebuch 1922, über die Realität der säkularen Gesellschaft, hinzu.
Das Individuum verliert nach der Absicht führender Repräsentanten der Bauhaus-Bewegung in der Industriegesellschaft an Bedeutung, stattdessen wird die gesellschaftliche Verantwortung des Menschen betont. Der Schriftsteller Robert Musil verkündete gar das Ende des Individualismus und beschreibt in seinem Bestseller „der Mann ohne Eigenschaften“ vor allem das kollektive Schicksal des Menschen. Das Bauhaus wirkte in Weimar allerdings nur wenige Jahre. Nach dem Ende der Weimarer Republik waren es die Ideologien, die die politische Zukunft der Menschen bestimmte.
In diesem Kontext lohnt auch der Blick noch weiter zurück in die Geschichte, bis in die Weimarer Klassik. Auch hier gilt es Anstöße auszumachen, die bis heute bedeutsam sind. Goethe hat im Nationalismus, die unterste Stufe der Kultur gesehen. Er bevorzugte die Evolution, die langsame Veränderung von Gesellschaften im Gegensatz zu revolutionären Tendenzen. Das Werk Goethes war niemals mit Ideologien kompatibel, es ist zutiefst europäisch und steht auch für eine verstehende Annäherung bezüglich des Islam. Die Weimarer Klassik und die Bauhaus-Bewegung können so gleichermaßen eine Rolle bei der Findung einer europäischen Einheit spielen.
Weimar hat mit der Eröffnung des Bauhaus-Museums und der Gedenkstätte für die Geschichte der Weimarer Republik bewiesen, dass es nicht nur für die Weimarer Klassik stehen will, sondern auch für die Beschäftigung mit aktuellen Fragen. Bereits heute ist die Stadt auch ein wichtiges Ziel für muslimische Besucher. Sie lernen hier über die Hochphasen und die Abgründe deutscher Geschichte. Die neuen Museen der Stadt könnten auch Muslime in aktuelle Debatten einführen und ihr Denken anregen.
Fakt ist, dass die Krisen unserer Zeit, sei es die Umweltzerstörung, ein verantwortungsvoller Umgang mit den schwindenden Ressourcen, die Flüchtlingskrisen oder aber die Bewältigung der Pandemie – eine kollektive Antwort erfordern. Keine Nation in Europa ist in der Lage diese Probleme alleine zu lösen. Dabei gilt es auch individuelle Bürger- und Freiheitsrechte, sei es der Datenschutz oder die freie Religionsausübung, zu gewährleisten. Grundsätzlich sind die europäischen Religionsgemeinschaften die natürlichen Partner in dem Bemühen, die Bewahrung der Schöpfung und ein würdevolles, friedliches Zusammenleben, zu gewährleisten.
Von der Leyen will heute insbesondere die sozialen und kulturellen Impulse der historischen Bauhaus-Bewegung aufnehmen. „Der bahnbrechende Erfolg des Bauhauses wäre nicht denkbar gewesen ohne den Brückenschlag zur Kunst und Kultur wie auch den sozialen Fragen der damaligen Zeit“, schrieb sie. Zu den sozialen Herausforderungen wird zweifellos auch die Stärkung der konstruktiven Rolle der europäischen Muslime in unseren Städten gehören. Hier braucht es, gerade in Zeiten, wo die Religionszugehörigkeit von Menschen eher polarisiert, eine überzeugende Vision.
Die Probleme sind offensichtlich: In Frankreich wird zur Zeit, auch unter dem Eindruck muslimischer Terroristen, das Phänomen der Parallelgesellschaften kontrovers diskutiert. Tatsächlich vermischt sich, gerade in den Banlieues, die soziale Wirklichkeit, die sichtbare Radikalisierung von Jugendlichen und die Probleme der Immigration. Rechte Populisten bieten in dieser Hinsicht nur ihre trostlose These über die angebliche Feindlichkeit und Nicht-Integrierbarkeit der Muslime an. Es sind die Muslime selbst, die die europäischen Gesellschaften vom Gegenteil überzeugen können. Es wäre fatal für Europa, wenn hier geborene und lebende Muslime sich künftig nicht als europäische BürgerInnen verstehen.
In dieser Hinsicht könnte der Artikel der Kommissionspräsidentin auch Muslime in Europa inspirieren, ihre willkommene Rolle beim Aufbau eines neuen Europas zu finden. Eine neue muslimische Infrastruktur spielt dabei eine wichtige Rolle. Neben der Idee der „grünen Moschee“ oder dem Ausbau einer europäisch-muslimischen Architektur, könnte auch die Einrichtung ergänzender, digitaler Angebote, vom virtuellen Marktplatz bis zur Nachbarschaftshilfe, treten. Zu den sozialen Fragen Europas gehört auch die Weiterentwicklung der Kernfunktionen der heutigen Moscheen. Sie könnten potentiell, gerade in den Ghettos europäischer Städte, das soziale Leben bereichern. Das Phänomen der Ideologisierung von Muslimen steht auch in einem Zusammenhang mit ihrer oft trostlosen Alltäglichkeit in den Großstädten.
Die alte Idee, die Moschee als Teil von anderen sozialen und kulturellen Einrichtungen zu sehen, ist allerdings heute in den modernen Städten Europas nur schwer umzusetzen. Es geht an entsprechenden Raum. Die Moschee und der Marktplatz und andere soziale Dienstleistungen waren in der Vergangenheit der Ausdruck des sozialen und ökonomischen Engagements von Muslimen vor Ort. Auf diese Weise war es das „Tätigsein“ für die Umgebung und die unmittelbare Nachbarschaft, die das muslimische Leben bestimmte. Heute bedarf es neuer Lösungen, die Mängel der bestehenden Strukturen zu überwinden.
Besucht man die alten Städte der islamischen Regionen in Europa kann man diese urbanen Kontexte studieren. Vielleicht wächst damit die Einsicht, dass eine erfolgreiche Integration der Muslime auch die Einräumung ihrer öffentlichen Orte in das Stadtbild bedingt. Selbstverständlich war in der damaligen Zeit die Existenz anderer religiöser Gemeinschaften in der städtischen Umgebung. Hier liegt ein Anknüpfungspunkt für eine Einbeziehung der Muslime in die Idee einer neuen Bauhaus-Bewegung. Dabei geht es auch um die Stärkung des sozialen, künstlerischen und ökonomischen Potentials der Muslime.
Aktuell sind Moscheen in ihrer räumlichen Funktion beschränkt, oft beschränken sich die religiösen Gebäude, schon aus Raumgründen, auf ihre sakrale Funktion. Viele Moscheen befinden sich nach wie vor im Gewerbegebiet und damit faktisch am Rande der Gesellschaft. Dabei gehen gleichzeitig andere wichtige Elemente einer balancierten Lebenspraxis verloren. Es ist kein Zufall, dass sich an diesen Orten auch weniger ganzheitlich- konstruktive Lebenspraxis niederlässt, sondern sich ideologische Positionen etablieren. Das islamische Leben wurde in den letzten Jahren immer stärker politisiert ohne diese anderen Aspekte der islamischen Lebenspraxis abzurufen.
Über Jahrhunderte waren es die Gilden, die den muslimischen Beitrag für die Entwicklung der Zivilisation sammelten. Heute sind es wieder muslimische Künstler, Architekten und Soziologen, die sich intensiv und aus ihrer Sicht mit der Entwicklung unserer Städte befassen sollten. Es wäre interessant, wenn die neue Bauhaus-Bewegung, die in Europa entstehen könnte, auch für diese Seite der Gesellschaft offen wäre.