Ich lese gerade das Buch „Mamluk Economics“, eine Studie und Übersetzung des „Igathah“ von Al-Maqrizi. Das Buch handelt von mittelalterlichen Währungsturbulenzen in Ägypten, die sich in den komplizierten Schwankungen der Wechselkurse zwischen Dinars und Dirhams zeigen. Die gesamte Ökonomie des Raumes war in dieser Zeit von der Flut oder dem möglichen Niedrigwasser des Nils bestimmt. Die Folge waren schwankende Wechselkurse, bis hin zur Einführung eines Kupfer-Fulus, der sogar zeitweise die traditionelle Währung des „Dinar und Dirham“ verdrängte.
Der Autor stellt sodann fest, dass der Fulus (natürlich ganz zu schweigen von Papiergeld) eigentliche keine islamische Währung darstellt und das natürliche Wirtschaften bedrohte. Zu allen Zeiten, liest man in dem spannenden Buch weiter, und auch in vor-islamischen Zeiten, wurde mit guten Gründen mit Gold und Silber gehandelt. Dieses Geld, wie man es heute auch wieder bei den Eliten der Währungskritiker aus allen Lagern hört, war schlicht „gutes“ Geld. Ein fairer Handel, so wurde es über Jahrhunderte hinweg und lange in allen Religionen verstanden, beruht vor allem auf der Verwendung von gerechtem Geld.
Heute ist die ökonomische Situation weniger von Wasserständen einzelner Flüsse abhängig, als von der ungeheuren Flutung der weltweiten Märkte mit riesigen Geldbeständen. Das Recht, große Mengen Geld zu schaffen, ist heute – noch vor der Aufstellung und Aufrüstung von Heeren – die wichtigste Form der modernen Machtausübung.
Nur langsam verstehen die Muslime, dass die Aufgabe der alten islamischen Terminologie, auch unserer Gewichte und Maßeinheiten, das Vergessen unserer ökonomischen Institutionen, dass uns aus „pragmatischen“ Gründen im letzten Jahrhundert geboten schien, ein historischer Fehler war. Heute dämmert uns wieder, dass unser offenbartes Wirtschaftsrecht – in großen Teilen zeitlose Einsichten – eine Notwendigkeit ist.
Nur wer aber unser Recht diesbezüglich kennt und in der Lage ist, die zahlreichen moderne Verfälschungen dieses Rechtes offen zu legen, kann überhaupt noch eine islamische Alternative zum kapitalistischen Bankensystem denken. Alle Formen des genannten Pragmatismus, insbesondere die Idee, dass man eine Bank moralisieren und islamisieren kann, sind längst in die Struktur der Finanztechnik vollständig integriert.
Der Islam zeigt einen Mittelweg auf, der weder Eigentum und Gewinnstreben verteufelt, sondern die Freiheit der Märkte verteidigt und dennoch ein Maß einführt, dass im entfesselten Kapitalismus verloren gegangen ist. Während in Griechenland, der politischen Heimat Europas, die Gespenster des „Nationalismus (Rassismus)“ und des „Kommunismus“ wieder am Horizont erscheinen, zeigt sich der Islam für den Europäer als eine ökonomische Alternative jenseits der Ideologien.
Nach den Jahrzehnten der Dominanz des politischen Islam, könnte der Islam so als Teil der Lösung, nicht etwa des Problems, den europäischen Intellekt noch näher beschäftigen. Um dies zu sehen, muss man allerdings fähig sein, das Zusammenspiel von sozialen und ökonomischen Einrichtungen im Islam zu studieren, man muss sich auch insbesodnere dem Paradox stellen, dass der politische, sogenannte moderne Islam nicht zufällig kein Interesse an Zakat, Stiftungen und Märkten zeigt. Die Reduktion des Islam auf liberale oder konservative Politikmodelle verstellt gerade die tiefere Bedeutung der Offenbarung in unserer Zeit.
Der Funktionär, der heute oft das Bild des politischen Verbands-Islam bestimmt, verkennt den Sinn der Stiftung, die ihm nur als antiquierte Begrenzung seines eigenen, absoluten Machtanspruchs erscheint. Bevorzugt wird daher die Einrichtung von GmbH's, die als Rechtsform eine persönliche Dominanz und politische Kontrolle ermöglicht. Studiert man die Geschichte der islamischen Stiftungen in aller Welt, dann wird man übrigens feststellen, dass ein Großteil dieser Einrichtungen von mutigen muslimischen Frauen bestimmt wurde.
Unsere Generation von Muslimen, gelangweilt von dem Stillstand islamischer Verbände und Vereine, muss nun wie in einem Puzzle die verloren gegangenen Bruchstücke der islamischen Zivilisation zusammensetzen. Wir Muslime sollten versuchen, die folgende unvollständige Liste dieser Elemente einer, leider verloren gegangen Lehre, nachzuvollziehen und noch besser zu verstehen. Viele Muslime dürften, obwohl wir Zeitzeugen einer gigantischen und bedrohlichen Finanzkrise sind, von diesen Dingen bisher kaum in ihrer Moschee gehört haben. Warum das so so sein muss, überlasse ich dabei dem Urteil des Lesers.
Neben der dritten Säule des Islam, der Zakat und all ihrer zahlreichen Implikationen, muss man in unserer Zeit zunächst natürlich die verschiedensten Formen von „Riba“ analysieren und erkennen lernen. Im Gegensatz zu der ratlosen Occupy-Bewegung wissen wir, wie ein Wirtschaften in Harmonie mit der Schöpfung zu organisieren ist. Unserer Rechtsbücher sind glücklicherweise voll mit klugen Abhandlungen über das Wesen des Handels und des gerechten Austausches. Wir verfügen über ein hochaktuelles anti-monopolitisches Marktrecht und wir erinnern uns an die authentischen Formen unserer Verträge, die ein modernes Wirtschaftsleben jenseits der Banken ermöglicht. Auf dieser Basis könnte ein spannender Dialog zwischen Muslimen und Nichtmuslimen gut unterhalten.