Es ist eine schockierende These von Giorgio Agamben, dass die neue Weltordnung auch das Lager als „Ort ohne Ordnung“ etabliert. Das Beispiel Guantanamo hat der Welt verdeutlicht, dass die Etablierung von „Ausnahmerecht“ und „Ausnahmeorte“ in der Moderne jederzeit möglich ist. Flüchtlinge, die nichts mehr haben als ihr „nacktes Leben“ bilden heute im Weltmaßstab eine der zahlreichen Parallelgesellschaften. Sieben von zehn der derzeit etwa 11,8 Millionen Flüchtlinge – fast acht Millionen Menschen – leben seit über fünf Jahren in Lagern unter grober Missachtung der in der Flüchtlingskonvention von 1951 festgehaltenen Rechte. Dies geht aus dem Jahresbericht 2005 des US-Komitees für Flüchtlinge und Immigranten (USCRI) hervor.
'Warehoused' – eingelagert – mit diesem Begriff versucht die Nichtregierungsorganisation die Situation der Flüchtlinge „zeitgemäß“ zu beschreiben. Er ist in den meisten Fällen gleichbedeutend mit dem Zwang zur Untätigkeit und der Verweigerung von Bewegungsfreiheit, Erwerb von Besitz und Bildung. Überhaupt kann man nur ahnen wie es in den düsteren Lagern jenseits des Limes zugeht.
Insgesamt ist nach dem USCRI-Bericht die Zahl der Flüchtlinge 2004 von rund 11,9 Millionen zu Jahresanfang bis auf 11,5 Millionen im Januar 2005 zurückgegangen. Noch 1996 hatte die Zahl der Flüchtlinge bei 14,5 Millionen gelegen. Zurückzuführen sind die rückläufigen Zahlen des letzten Jahres vor allem auf die Heimkehr von 400.000 Afghanen, 100.000 Angolanern, 75.000 Äthiopiern und 60.000 Liberianern. Zugenommen hat allerdings die Zahl der sudanesischen Flüchtlinge um 100.000, die der burmesischen und burundischen Flüchtlinge um etwa 80.000 und vor allem die der irakischen. Derzeit sollen 366.000 Iraker im Ausland um Asyl bitten.
Immer mehr Muslime leben in Lagern. Palästinenser bilden mit drei Millionen die größte Flüchtlingsgemeinde der Welt. 1.635 ihrer Mitglieder leben als Flüchtlinge im Gazastreifen und im Westjordanland, 701.000 in Syrien, 265.000 im Libanon – den beiden Staaten mit dem derzeit welthöchsten Flüchtlingsanteil an der Bevölkerung. In Syrien ist jeder 26. Flüchtling, im Libanon jeder 18. Palästinensische Flüchtlinge werden am längsten um ihre Rechte betrogen. Sie leben im Gazastreifen, dem Westjordanland und im Libanon seit 56 Jahren unter den vom USCRI kritisierten Bedingungen, seit 37 Jahren in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien.
Groß ist auch die fast zwei Millionen Menschen zählende Flüchtlingsgemeinde der Afghanen im Iran und in Pakistan. Sie leben dort seit 25 Jahren unter Missachtung ihrer Rechte. Über 20 Jahre tun dies Eritreer im Sudan, Angolaner in Sambia und Namibia, Saharauis in Algerien, Filipinos in Malaysia, Iraker im Iran, Palästinenser in Kuwait, Srilanker in Indien und Burmesen in Thailand. Insgesamt befinden sich sieben Millionen Menschen seit über zehn Jahren in einer Art Lagerhaft.