Der SPIEGEL setzt mal wieder die ultimativen Zusammenhänge. „Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist; aber jeder uns bekannte Terrorist war irgendwann einmal in salafistischen Zusammenhängen unterwegs,“ zitiert heute das Magazin den Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm, der auf diesen Kontext allerdings bereits im vergangenen Sommer hingewiesen hatte.
Mit diesem „extremen“ Zusammenhang, angewendet auf den eher harmlosen konkreten Fall, erhöhen die Medien den Druck auf die Gruppen, die durch ihre spektakuläre Koran-Aktion den Hype über den Salafismus in Deutschland neu ausgelöst haben. Wir kennen schon den weiteren Spielverlauf, durch die flexible Erweiterung der Schnittmenge in den Sammelbegriff der „Islamisten“, werden sich große Teile der muslimischen Szene ebenfalls nach Belieben mit „Terroristen und Ideologen“ assoziieren lassen.
Um es nicht unter den Tisch fallen zu lassen und unter uns gesagt, nach meinen Recherchen hat VS-Chef Fromm mit seiner Aussage übrigens völlig Recht. Wobei zum gesamten Bild gehört, dass bis heute die Rolle des baden-württembergischen Verfassungsschutzes beim Ausbau der „Ulmer Zelle“, die ja den Keim dieses Unheils in Deutschland gesetzt hat, ungeklärt ist.
Die naheliegenden Bezüge zeigen jedenfalls, dass die Öffentlichkeit nicht ganz zufällig bei diesem Thema sensibilisiert ist. Da hilft auch kein Zetern der betroffenen Gruppen, nötig ist eine religiös begründete, glasklare, rechtliche Abgrenzung zu Selbstmordattentaten und Terrorismus, natürlich ohne irgendwelche dubiosen Ausnahmetatbestände.
Es ist zwischen Muslimen legitim, einen Streit über den rechten Weg zu moderieren und jeder, der die Öffentlichkeit sucht, darf bei diesem Thema nicht zu weinerlich sein. Über Jahrhunderte haben Muslime auf hohem Niveau und in einer fröhlichen Wissenschaft über die richtige Auslegung des Koran und der Sunnah gestritten, allerdings ohne die Beteiligung von Amateuren und hochreligiösen Absolventen von IT-Schnellkursen. Der Umstand, dass wir alle Brüder sind, meint nicht, dass wir den Mund halten müssen und – insbesondere bei Aktionen, die uns alle treffen – unseren Intellekt im internen Dialog auszuschalten haben.
Ich habe, offen gestanden, nie verstanden, warum der „Salafismus“ für viele Muslime eine derartige Anziehungskraft hat, für manche gar wie eine konsequentere Ausübung der Religion wirkt, gerade auch weil diese Gruppen – entgegen der orthodoxen äußeren Erscheinung – in vielen entscheidenden Fragen des Islam in dieser Zeit – man denke an die Regeln der Zakat und der Muamalat, gar keine hörbare Position haben. Alle Muslime sollten versuchen, dem Vorbild der ersten Gemeinschaft und ihren Beispielen in der Moschee und auf dem Marktplatz nahe zu kommen. Ich mag Muslime, die einfach sind, aber bestimmt nicht, wenn sie sich als überpräsente Vertreter einer Überhöhungs-Ideologie verstehen.
Ja, die „Einladung zum Paradies“ wirkt insofern auf mich oberflächlich, weltfremd und ein wenig wie die Flucht aus der Wirklichkeit. Wir Muslime müssen hier und jetzt einen Weg zur Gemeinschaft, nicht zur Isolation zeigen, praktische Alternativen aufbauen und wir dürfen es bestimmt nicht als gutes Zeichen nehmen, wenn die unmittelbare Umgebung einfach nur Panik vor uns bekommt.
Nichts anfangen kann ich auch mit der gelebten Umkehrung der Einsicht, dass der Islam keine Kultur ist. Über Jahrhunderte war der Islam kulturell vielfältig, bunt und weiß Gott kein schwarzer Einheitslook. In Deutschland schafft es, gerade für unsere Jugend, eine gewisse Schizophrenie, wenn man sich ohne Not kulturell abgrenzt. Natürlich essen wir kein Schweinefleisch und trinken keinen Alkohol, aber dennoch bewundern wir die große Literatur, Philosophie und Kunst unseres Landes. Wie soll man Deutsche zum Islam einladen, ohne diese Brücken zu sehen und ohne zu vermitteln, dass wir hier gemeinsam und mit Begeisterung zu Hause sind und uns um die Zukunft unseres Landes sorgen?
Hin und wieder werde ich schon erinnert, dass die Kategorisierung von Muslimen auch ihre Tücken hat. Auf einer Reise in Saudi-Arabien nach Madinah lud mich vor einem Jahr ein Gelehrter, den ich bei einem Freund in Raydh getroffen hatte, hartnäckig zu einem Mittagessen in sein kleines Dorf auf dem Weg nach Madinah ein. Da ich den Mann als freundlich, aber als salafitisch angehaucht empfand, suchte ich nach einer Entschuldigung. Er ließ aber nicht locker und rief uns einige Male an. Ich sagte zu dem Imam, der mich begleitete, also wenn er wirklich 5 mal anruft, wenn es ihm so wichtig ist, dann sagen wir ja. Er rief fünf mal an. Es war entschieden.
Wir fuhren in das kleine Dorf und trafen dort auf eine Gruppe von 20 Männern, Gelehrte und Akademiker. Es gab ein wunderbares Mittagessen, perfekte Gastfreundschaft und gute Tischgespräche. Ich war beinahe etwas enttäuscht. Um das Klima zu testen, erwähnte ich die Muslime in Bosnien und dass ich der Auffassung bin, dass die herben „salafitisch-wahabitischen Umtriebe“ den Islam in Europa dort auf Jahre zurückgeworfen hätten. Ich duckte mich. Ein älterer Herr reichte mir eine Dattel, lächelte und sagte „wenn ihr den Islam gut kennt, Arabisch sprecht und gut ausgebildet seid, könnt ihr Europäer das ja künftig machen. Das ist Fitra“.
Kurzum, dieser Nachmittag blieb mir lange in Erinnerung. Bei mir zu Hause sagt man immer „es gibt solche und solche“ – das ist eine einfache Lebensweisheit und stimmt eben immer.