Die Kritik am Kapitalismus ist heute längst in der gesellschaftlichen Mitte verankert. Zur Disposition steht allein noch, ob der Kapitalismus durch Moral oder Reform überhaupt noch wirksam einzuschränken ist. Der Chor der Kapitalismuskritiker ist nun vielstimmig. Zum Beispiel hat Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) offen vor einem „gesellschaftlichen Raubtierkapitalismus“ gewarnt. „Der rücksichtslose Gebrauch der Macht einiger Manager großer Verbände, Konzerne, Geldinstitute und Medienkomplexe kann zu einer ernsten Gefahr für den Bestand der offenen Gesellschaft werden“, schrieb Schmidt kühl in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“.
Die Institutionen Demokratie und Marktwirtschaft sind heute in der Krise, vor allem soweit die Freiheitsgarantien der Bürger betroffen sind. Wo stehen nun die Muslime? Notgedrungen sind auch Muslime – übrigens auch die politisch denkenden Extremisten – heute auch und vor allem Kapitalisten. Als Ideologie erlaubt der Kapitalismus auch gar keine alternativen Modelle neben sich. Die islamischen Wirtschaftsmodelle sind daher zumeist schlichte Kopien der kapitalistischen Vorbilder.
Nehmen wir das konkrete Beispiel der „freien Marktwirtschaft“, die gerade im Islam eine traditionell große Bedeutung hatte und hat. Markt und Moschee sind nicht nur gleichgewichtig in der Bedeutung, sondern gehören in der klassischen Stadtarchitektur immer auch zusammen. Im Qur’an ist der Handel – neben dem Eigentum – etwas, was Allah ausdrücklich erlaubt hat. Der Prophet selbst war ein Händler, seine Frau Khadidscha war eine durch den Handel reich und mächtig gewordene Frau. Das islamische Recht erlaubt weder die strukturelle Beherrschung des Marktes, noch der Moschee.
Aber richten wir den Blick auf unsere Gegenwart. Das Problem ist heute, dass Europa den freien Handel und damit die Freiheit des Marktes ad absurdum geführt hat. Politisch erlaubt und gefördert, vielleicht sogar gewollt, ist allein die monopolisierte Distribution durch wenige „Global Players“. Der Markt ist abgeschottet und die „freie“ Marktwirschaft ein überkommenes Ideal. Aldi Nord gegen Aldi Süd. Die Folgen sind hinlänglich bekannt: Die Abschottungspolitik und die einseitige Beherrschung der Märkte wird heute in der Dritten Welt mit Hunger und Tod bezahlt. Aus islamischer Sicht – muss der Markt nicht nur für jedermann und jede Frau zugänglich sein, sondern gerade in der Freiheit des Handels besteht eine wesentliche Komponente des islamischen Gerechtigkeitssinnes. Muslime sind daher für den freien Markt, nicht etwa gegen ihn.