In der Wochenzeitung „Freitag“ kann man den folgenden interessanten Artikel über den Wahnsinn des Terror und über potentielle Kriegsgewinnler lesen. Das passende Motto „Die Beseitigung von Feindbildern ist allemal besser als die Beseitigung von Feinden“.
Hier der Artikel von Daniela Dahn:
Möge das neue Jahr ein friedliches sein, wird nun wieder allenthalben sorgenvoll gewünscht. Die letzten Wochen stimmten nicht gerade zuversichtlich: Erstmalig hätten alle westlichen Geheimdienste die „gesicherte Erwartung“, dass „der nächste Anschlag des Qaida-Netzwerkes wohl mit nuklearen Mitteln geführt wird“, wollte der Spiegel vom 22. November „aus EU-Kreisen“ erfahren haben. Kein Beweis. Doch soviel ist bekannt: Die neue Runde atomaren Wettrüstens geht eher nicht von al-Qaida aus. Die Bild-Zeitung vom 24. November wusste: „Der britische Geheimdienst hat einen Terroranschlag auf das Londoner Finanzviertel vereitelt! Die Drahtzieher sollen Verbindungen zu Osama bin Laden haben. Ob und wie viele Terroristen verhaftet wurden, ist nicht bekannt.“
Eine viertel Seite groß stand in der Süddeutschen Zeitung vom 13./14. November eine Annonce mit der Überschrift: Das nächste Madrid. Werden Terroristen es in eine tödliche Gaswolke hüllen? Die Bedrohung ist real, heißt es im Text: „In einem dicht besiedelten Vorort von Lyon haben französische Sicherheitseinheiten vor kurzem einen schockierenden Plan aufgedeckt. Eine terroristische Zelle mit Verbindungen zu al-Qaida plante einen Anschlag mit hochgiftigen chemischen Waffen auf eine europäische Metropole.“
Wer hat ein Interesse an solcher Panikmache? Angeblich war doch der von der Allianz gegen den Terror unter Teilnahme der Bundeswehr in Afghanistan geführte Krieg sinnvoll und hat al-Qaida wenn nicht zerschlagen, so doch empfindlich geschwächt. Wieso ist diese Truppe plötzlich gegenwärtiger denn je, selbst in europäischen Hauptstädten? Weshalb habe ich das bedrohliche Gefühl, es hier vielleicht mit dem Schüren von Fremdenfeindlichkeit, also mit Volksverhetzung zu tun haben zu können? Wer den medialen Verschwörungstheorien misstraut und über Lobby-Interessen sinniert, wird leicht selbst als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt.
Unterzeichner der Anzeige in der SZ ist die EUROPEAN SECURITY ADVOCACY GROUP. Keine Namen. Aber die Adresse einer Website: www.esag.info. Unter der Rubrik: Worum wir uns bemühen ist dort zu lesen: „Seit einigen Monaten lesen Sie diese Anzeigen, die sich mit der Fratze des Terrorismus auseinander setzen. Die einfache Antwort auf die Frage nach dem Warum einer solchen Kampagne lautet: irgendjemand muss es tun. Man darf nicht nur beobachten und schweigen.“ Es sei unvorstellbar, was hätte passieren können, wenn nicht gut ausgestattete Sicherheitskräfte Schlimmeres verhütet hätten. Unter der Rubrik: Wer wir sind, keine Namen, aber Google bietet Links von der ADVOCACY GROUP zu anderen Websites an. Einer führt zum Sicherheitsforum Baden-Württemberg, zu dem unter anderem das dortige Innenministerium, das Landesamt für Verfassungsschutz, der Landesverband für die Baden-Württembergische Industrie und DaimlerChrysler zählen.
DaimlerChrysler ist Großaktionär beim europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS. Am 2. Dezember unterstrich der Konzern die positive Signalwirkung der Zustimmung des Bundestages zur zweiten Eurofighter-Tranche auf die noch laufenden Schlussabstimmungen der anderen Teilnehmerländer. Der Eurofighter sei das erste europäische Kampfflugzeug, das die Anforderungen an NATO- und EU-Streitkräfte zur „Vernetzten Operationsführung“ uneingeschränkt erfüllt. Einen Tag später verkündet EADS, das Unternehmen sehe die Chance auf einen Rüstungsauftrag aus den USA in Milliardenhöhe. EADS erzielt derzeit jährlich 500 bis 600 Millionen Dollar Umsatz in den USA. Mit den neuen Verträgen sind ab 2007 zwei Milliarden denkbar.
„Krieg wird sein, solange auch nur ein Mensch am Krieg verdient“, wusste Bertolt Brecht. Den Verteidigungsetat zahlt der von Soziallasten verstimmte Steuerzahler. Was ihn die jüngsten Kriege im Kosovo, in Afghanistan und im Irak tatsächlich gekostet haben, wird er wohl nie erfahren. Gleichzeitig ist kaum noch zu verbergen: Angriffskriege sind die exzessivste Form von Terrorismus. Sie verschlimmern alles und lösen nichts. Bis die uneinsichtigen Bürger der Illusion erliegen, „gut ausgestattete Sicherheitskräfte“ könnten sie im Ernstfall tatsächlich schützen, bedarf es geistiger Mobilmachung. Geheimdienste, Rüstungsindustrie und Medien wollen durch Verbreitung unüberprüfbarer Horror-Meldungen Ängste und Ressentiments schüren und die Bürger in ihrer Urteilskraft entmündigen. Eigene Urteilskraft ist die Basis der Demokratie, doch eine Massenvernichtungswaffe ist bereits im Einsatz: die Desinformation. Immer mehr Lobby-Gruppen kaufen sich Zeitungsplatz, nicht wie bisher für Produktwerbung, sondern um da weiter zu machen, wo die Bereitschaft der Journalisten aufhört.
Durch den Irakkrieg sind die Gewinne der Rüstungskonzerne weltweit wieder auf Höchstwerte wie zuletzt während des Kalten Krieges gestiegen, ermittelte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut. Die Militärausgaben der Industriestaaten übertreffen deren Zahlungen für Entwicklungshilfe um mehr als das Zehnfache und waren größer als die gesamten Auslandsschulden der armen Länder. Was für eine Welt! Jährlich sterben mehr als 50 Millionen Menschen an Unterernährung, Seuchen und heilbaren Krankheiten. Das heißt, jedes Jahr kostet die Menschheit etwa so viel Opfer wie der Zweite Weltkrieg in sechs Jahren. Dabei würde ein Zwanzigstel der Rüstungsausgaben reichen, um schlimmste Armut zu beseitigen. Ist es verwunderlich, dass in einer Welt von so gottloser Ungerechtigkeit die fundamentalistische Wut wächst?
Terrorismus ist ein Schrei, der gehört werden will. Wie viel irakisches Selbstbewusstsein verletzt wird, wenn in Bagdad demonstrativ der weltweit größte Botschaftspalast für 3.000 Angestellte gebaut wird, eine Art amerikanisches Headquarter für die arabischen Protektorate, lässt sich vorstellen. Aus den uns zugeteilten Interviewsegmenten von Osama bin Laden, dieser verstoßenen Kreation der CIA, wird gern herausgehört, er wolle die Muslime gegen die Ungläubigen verteidigen. Noch lieber wird sein Vorwurf überhört, die Amerikaner würden den Muslimen das Erdöl stehlen, und gegen diesen größten Terrorismus der Welt helfe nur, mit gleicher Münze heimzuzahlen. Auf diese Gewaltanmaßung muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln reagiert werden, sonst ist die Zivilisation gefährdet. Eine falsche Reaktion gefährdet die Zivilisation jedoch erst recht.
Einer der engsten Bush-Berater, der Historiker J.L. Gaddis, behauptet, wenn die Europäer bessere Lösungen als präventive Angriffskriege hätten, würde die Bush-Regierung diese gern hören, bislang hätte er aber keine besseren Vorschläge vernommen. Aus Sicht der Macht und des Profits ist die unermüdlich vorgetragene Lösung von Politikern, Intellektuellen und alternativen Bewegungen (nicht nur aus Europa) oder vom UN-Generalsekretär natürlich nicht besser: Wir müssen die Armut bekämpfen, die den Terrorismus hervorbringt.
Armut im weitesten Sinne. Dazu gehört auch die neokoloniale Demütigung, mit der viele Länder um ihre Reichtümer und die Menschen um ihre Würde gebracht werden. Was über Generationen gewachsen ist, wird Generationen brauchen, bis es sich auswächst. Es wäre schon viel gewonnen, wenn es gelingt, den Hass nicht zu verstärken. Wir können uns vor Selbstmordattentätern nicht schützen und wollen dennoch, dass sie damit aufhören. Also werden wir mit ihnen verhandeln, ihnen zuhören müssen. Irrationalismus, Fundamentalismus, Fanatismus sind durchaus auch unter Gebildeten ein Defizit an humanistischer Gesinnung. Doch zur Armut gehört auch die Unbildung von Milliarden. Analphabeten können weder die Bibel noch den Koran angemessen auslegen. Gläubigen und Ungläubigen müsste vermittelt werden, dass sie letztlich verwandte Glücksvorstellungen und ähnliche Sehnsüchte haben. Die Beseitigung von Feindbildern ist allemal ein besserer Vorschlag als die Beseitigung von Feinden.
Unsere Waffe ist die friedliche Demokratie. Es gibt keinen anderen Schutz vor Terrorismus. Wir sind auf dieser Erde verdammt, uns zu vertragen. Und das geschieht uns recht.
Die Crux ist eben nur: solange der Kampf um Naturschätze und Märkte mit Waffen ausgetragen wird, solange sich mit Bombern, Minen und Panzern und der langwierigen Beseitigung ihrer Zerstörungen mehr verdienen lässt als mit Bewässerungstechnik, Mähdreschern, Schulen und Krankenhäusern, scheint mir jeder moralische Appell für die Katz. Solange wir uns in der Logik des Kapitals, also des Maximalprofits bewegen – und ich sehe keine andere Logik – dürfen die Lösungsvorschläge nicht unlogisch sein. Daraus folgt, dass wir aufgerufen sind, Bedingungen zu schaffen, unter denen Frieden ein besseres Geschäft ist als Krieg. Am Frieden und am Krieg verdienen nicht die selben. Letztlich entscheiden aber Regierungen, wer woran verdient. Überlassen wir ihre Beeinflussung nicht den Waffenlobbyisten. Deren Reichtum ist ein Armutszeugnis für uns. Sind wir wirklich gezwungen, Regierungen zu wählen, die mit unseren Steuergeldern Schwerter sponsern statt Pflugscharen? Lebten wir längst im ewigen Frieden, wenn Rüstungsetats durch Volksentscheide verabschiedet würden?
Was kann der kleine Bürger für den großen Frieden tun? Was kann Friedensbewegung? Es bleibt eine schwierige Balance zwischen sich keine Illusionen machen und nicht resignieren. Jede Art von Protest und zivilem Ungehorsam wird gebraucht, wobei die Formen von Gegenöffentlichkeit immer wichtiger werden. Vom Kochen eines heißen Tees für Blockierer über die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Nutzungsrechten für US-Basen in Deutschland bis zur Verteidigung des Völkerrechts existiert ein weites Spektrum für Unbotmäßigkeit. Vorschlag für ein Nahziel: Die Ächtung des Krieges in der EU-Verfassung.