In den letzten sieben Jahren der SPD-Regierung ist für die Muslime relativ wenig zählbares herausgekommen. Das mag an uns Muslimen liegen – aber auch an einer handvoll „Ideologen“ auf der anderen Seite. Ein Beispiel ist ein Report der Friedrich-Ebert-Stiftung, verfasst (in bekannt alleiniger, einsamer Regie) von Herrn Dr. Johannes Kandel.
Der einseitige Report ist selbst eine Art Spiegelbild „islamistischer“ Ideologie: Auf der einen Seite ist nur gut, wer das Tuch trägt, auf der anderen nur gut, wer es nicht trägt.
Wie immer kommen diese Beiträge auch nicht ohne Beschimpfungen von Andersdenkenden aus. Signifikant im Denken von Herrn Kandel ist die Ignoranz gegenüber der Trennlinie zwischen klassisch-islamischem Denken und dem Unwesen moderner Ideologien. Jede Ideologie – das gilt auch für Herrn Kandel – ist natürlich auch Vereinfachung. Die infame Folge dieser Vereinfachungen: Islamisches Denken klassischer Prägung wird so absurderweise wie schnell in die Nähe des Faschismus und seiner Massenverbrechen gerückt.
Hier ein Protestbrief dazu von Dr. Murad Hofmann:
Dr. Murad Wilfried Hofmann Bonn, den 19.05.2005
Herrn Dr. Roland Schmidt – geschäftsführendes Vorstandsmitglied – Friedrich-Ebert-Stiftung a) Godesberger Allee 149 b) Hiroshima Str. 17 53175 B o n n 10785 B e r l i n Betr.: Johannes Kandel, „Auf dem Kopf und in dem Kopf – der >Kopftuchstreit< und die Muslime“, FES, Islam und Gesellschaft Nr. 3 / 2004 Bezug: Ihr Begleitschreiben vom März 2005 Sehr geehrter Herr Schmidt, Sie waren so freundlich, mir Dr. Kandels o.a. Studie zu über-senden. Ich danke dafür, will jedoch nicht verhehlen, daß ich aus den nachstehenden Gründen über den Duktus der Studie erschrocken bin. M. E. hat sich Herr Kandel damit in islamophober und polemischer Manier „ge-out-et“. Diese Veröffentlichung ist jedenfalls kein Beitrag zum Dialog mit den Muslimen. Im Einzelnen: 1. Personalisierte Diffamierung: Es war für mich bestürzend, lesen zu müssen, wie systematisch Herr Kandel Andersden- kende durch persönliche Angriffe diffamierte. Dies traf - zum Teil mit beleidigenden Formulierungen - * Frau Nadeshda Ludin (S. 19, l.) * Rechtsanwalt Abu Bakr Rieger (S. 54, Fußnote 6) * Herrn Salim Spohr (S.- 60, Fußnote 161) * Frau Dr. Mihriban Özelsel (S. 44) * Herrn Hadayatullah Hübsch (S. 30, r.) * Herrn Amir Zaidan (S. 29, r.) * Frau Sabiha El-Zayat (S. 36, r.) * den als dumm und obstinat dargestellten ZMD (S. 25, l.; 28) * die IGMG ( S. 40, r.) Frau Özelsel, eine muslimische Mystikerin, als infame Schreibtischtäterin darzustellen und ihre Ansichten mit kommunistischem und faschistischem Kollektivismus gleichzusetzen, dürfte den strafrechtlichen Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Ähnlich unter der Gürtellinie ist Kandels Feststellung, daß Herr Hübsch „ein zum Islam bekehrter ehemaliger drogensüchtiger Hippie“ sei. Was, bitte, hat dies mit seiner Ansicht zur Kopftuch-Frage zu tun ? Oder soll man bei allen Muslimen einen ähnlichen Hintergrund vermuten ? Rechtsstaatlich bedenklich ist ferner der gebetsmühlenhaft wie- derholte Hinweis auf die Beobachtung von Milli Görüs durch deutsche Verfassungsschutzämter. Ist denn nicht bekannt, daß diese ohne demokratische Kontrolle beobachten können, wen sie wollen, ohne daß daraus eine Vorverurteilung abgeleitet werden darf ? Könnte man aus 25-jähriger „erfolgloser“ Beobachtung nicht eher schließen, daß die IGMG sich verfassungs- konform verhält ? 2. Falsche Zurechnungen: Herr Kandel dürfte wissen, daß so- wohl die alevitische Glaubensgemeinschaft wie die Ahmadiyya-Sekte und türkische Kemalisten (S. 22, l: 30; 45) mit Islam nicht mehr zu tun haben als Zeugen Jehovas oder Scientology mit der Katholischen Kirche. 3. Nichtrepräsentative Stimmen: Es ist m. E. nicht seriös, aus Ansichten Schlüsse zu ziehen, die sich in Chat Rooms des Internet finden (S. 16 l, 32 ff.). Damit läßt sich alles - also nichts - beweisen. Ähnlich könnte man gegen die christlichen Kirchen mittels Internet-Zitaten der „Christlichen Mitte“ argumentieren. 4. Unzulässige Gleichsetzung von Kritik an Israel und Zionismus mit Anti-Semitismus ( S. 2, l). 5. Strukturelles Mißtrauen: In der Studie kommt immer wieder zum Ausdruck, daß die Muslime letztlich nichts rechtmachen können; denn entweder bewegen sie sich nicht wie erwünscht oder - wenn sie es tun - unterstellt man ihnen Täuschungsabsicht (zum Bsp. S. 24, l). 6) Sachfremde Argumente: Was sollen im Kopftuchzusammenhang die wiederholten Hinweise auf Ehrenmorde, Zwangsehe, Frauenbeschneidung und Steinigung (S. 15, r; 53, r.) ? Diese Phänome widersprechen sämtlich der Schari´a. Auch sind sie keineswegs auf die muslimische Welt beschränkt. Wenn man von solchem Fehlverhalten Rückschlüsse auf die Religion Islam ziehen dürfte, müßte man dies z.B. wegen der hier vorkommenden Zwangsprostitution auch für die christliche Welt tun. 7. Ortsfremde Argumente: Es ging bei der Studie um die Frage, wie es sich in Deutschland nach deutschem Recht mit dem Tragen von Kopftüchern verhält. Es ist nicht einzusehen, welche (über Emotionalisierung hinausreichende) rechtliche Relevanz dabei kritische Schilderungen von Vorgängen in Pakistan, Saudi-Arabien, dem Iran und Sudan haben sollen ? 8. Leugnen von Parallelität: Kandel leugnet wiederholt, daß das Tragen des Kopftuchs ebenso freiwillig ist wie das Tragen einer Nonnentracht. Grundsätzlich kann in Deutschland niemand gezwungen werden, am Islam festzuhalten oder sich wie eine Muslima zu kleiden. 9. Aushebelung der Religionsfreiheit: Es kann allerdings auch in Deutschland vorkommen, daß eine Muslima das Kopftuch trägt, weil auf sie familiärer oder sozialer Druck ausgeübt wird. (Wir kennen ja den Druck, den die jeweilige Mode auf nicht-muslimische Mädchen ausüben kann, sich in bestimmter Weise zu kleiden.) Aus der Mehrdeutigkeit des Kopftuchtragens jedoch mit Kandel apodiktisch zu schließen, daß das „Deutungsmonopol“ nicht bei der Trägerin, sondern bei der nichtmuslimischen Umwelt liegen müsse (S. 11, r), läuft auf eine Aushebelung des Grundrechts auf Religionsfreiheit hinaus. Den Muslimen ihre eigene Religion erklären zu wollen, ist im übrigen überheblich. 10. Unterschätzen des Nachahmungseffekts: Es ist trügerisch zu unterstreichen, daß ja nur Lehrerinnen von einem Kopftuchverbot betroffen seien (S. 25, r). Er weitet sich bereits auf Beamtinnen und Richterinnen aus und macht sich schon in der Privatwirtschaft bei Kosmetikerinnen und Verkäuferinnen bemerkbar. 11. Schüren von Angst: Zur Verhinderung des Kopftuchs schreckt Herr Kandel nicht davor zurück, mit 13 Fragen auf S. 9, r und S. 10, l ein Horrorgemälde der sich anschließenden Islamisierung Deutschlands an die Wand zu malen. Auch diese Emotionalisierung lenkt von dem begrenzten Gegenstand des Urteils des BVfG vom 29. 09. 2004 ab. So wie denn die gesamte Studie all diejenigen abqualifiziert, die sich der Auffasssung des höchsten deutschen Gerichts angeschlossen haben. 12. Grundgesetz oder Leitkultur ? Ein Wissenschaftler nimmt den Gegenstand seiner Forschung so wie er ist und versucht, ihn nach seiner inneren Logik zu verstehen. Herr Kandels Herangehen ist anders: Er ist von sei- nem Gegenstand, dem Islam, wegen dessen orthodoxer Beständigkeit offenbar enttäuscht und möchte ihn verändert wissen. Das macht ihn zu einem säkularistischen Missionar. Er wird den Islam jedoch nur verstehen, wenn er akzeptiert, was ihn ausmacht: Den Qur`an als eine nicht zur Disposition stehende göttliche Verbaloffenbarung hinzunehmen. Die Muslime haben dafür keine schlechteren Gründe als evangelikale amerikanische Christen hinsichtlich der von ihnen Wort für Wort für wahr gehaltenen Bibel. Von den deutschen und in Deutschland lebenden Muslimen darf die Anerkennung der deutschen Rechtsordnung erwartet werden, aber keine darüber hinaus gehende Anpassung bzw. Assimilierung. Dabei haben nicht nur deutsche Volksvertreter, sondern schlußendlich das Grundgesetz.„ein Wörtchen mitzureden“ (S. 25, l). Zumal die Studie mit so heißer Nadel gestrickt wurde, daß man das jeweils zweimalige Auftauchen der Seiten 27 (auch vor S. 17) und 34 (auch vor S. 42) übersah, vermittelt sie leider den schon von Frau Maryam Weiß formulierten Gesamteindruck, daß es eben doch um mehr, nämlich um“die Abwehr des Islam“ als solchem geht (S. 25, l). Mit freundlichen Grüßen, (Murad W. Hofmann)