Die Frage: „Wo stehen wir heute?“, fordert zunächst die Gegenfrage heraus: „Stehen wir denn überhaupt?“ Offenbar befinden wir uns in Bewegung, und zwar in einer Form der Bewegung, die sich weder als Gehen und Schreiten noch gar als Wandel bezeichnen läßt. Die Bewegung vollzieht sich vielmehr seit geraumer Zeit accelerando: in wachsender Beschleunigung. (Ernst Jünger; Der Weltstaat)
Der Schriftsteller und Philosoph Ernst Jünger beschrieb in einer vielbeachteten Schrift aus dem Jahre 1960 den Weltstaat. In dem politischen Logbuch sah Jünger nicht nur den anstehenden Zerfall der Staaten voraus, sondern auch im Weltstaat den natürlichen Erben. Auf dem Weg dorthin werde es – so Jünger – planetarische Kontrolle, aber auch neuartige regionale Freiheiten geben. Ohne die Ordnung der alten Nationen sah Jünger bereits neue Spieler auf der Weltbühne aufmarschieren: Partisanen, marodierende Unternehmen und Warlords. Diesen Kräften der Kriegswirtschaft geht es allerdings weniger um die Romantik territorialer Einheit, als um einen ihren Geschäften dienlichen Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden.
Heute, beinahe 50 Jahre nach der Veröffentlichung des Textes, ist die ganze Welt etwas klüger geworden. Der Weltstaat scheint auf der politischen Ebene zwar fern, der Zerfall der alten nationalen Strukturen ist tatsächlich unübersehbar. Es gibt eben keinen Staat, wenn die Bürger gezwungen sind, Schutz und Gerechtigkeit bei ihren Stämmen zu suchen. Im Irak zeigt sich die Zentralgewalt als unfähig, für seine Bürger auch nur ein Minimum an öffentlichen Dienstleistungen sicherzustellen. Die Tendenz im Irak ist zudem einen künstlichen Staat aufzulösen, dessen großen ethnischen und religiösen Gemeinschaften nur davon träumen, sich endgültig von den anderen zu trennen. Amerika hat diese dem Irak innewohnende Sprengkraft unterschätzt. Die Idee der Nation, der Herrschaft von Werten oder des Islam, beinahe alle möglichen Bindeglieder, sind im Nihilismus des Terrors zu schwach, um eine friedensstiftende Rolle zu spielen.
Die wirtschaftliche Verwertung des arabischen Landes stockt für einen Moment. Der Zerfall nationaler Staaten geht weiter. Nach 15 Jahren blutigen Bürgerkrieges hat auch Mogadischu einen neuen Herrn: Die Warlords wurden von einer Gruppe von muslimischen Milizen vertrieben. Das Land steht nun vor einer möglicherweise antiquierten islamisch-ideologischen Herrschaft mit ungewissem Ausgang. Ohne aktive Teilnahme an den internationalen Wirtschaftsstrukturen bleibt eigentlich auch nur die Anarchie oder eine archaische Ordnung. Die weltweite Aufregung bleibt, sieht man einmal von der Diskussion über das mögliche Entstehen eines neuen Hafens für Terroristen ab, so oder so in Grenzen. Fakt bleibt, wo immer regionale Freiheiten entstehen, sei es hier oder auf dem Balkan, sind diese neuen politischen Gebilde letztlich doch globalen ökonomischen Gesetzlichkeiten unterworfen. Die nationale Souveränität ist eine Relative, geht zumeist mit enormer Verschuldung und neuen politischen Abhängigkeiten einher. Auf dieser Ebene leben alle schon in der Unterordnung unter den Weltstaat der Ökonomie.