In seiner neuesten Ausgabe berichtet der „SPIEGEL“ über eine neue Form des Wohnens in Europa. In Südfrankreich enstehen für einige Superreiche Wohnviertel, die als Hochsicherheitszonen ausgebaut sind. „Gated Communities“ waren ursprünglich eine Spezialität der USA. Großzügige Schätzungen, so heißt es im „SPIEGEL“, sprechen von mittlerweile 30 Millionen Amerikanern, andere von mindestens 8 Millionen, die hinter solchen Schranken leben. Aber nun werden diese oder ähnliche Anlagen auch in Europa immer populärer. Es fällt auf, dass auch hier von den Reichen zunehmend die „Angst vor dem Terror“ genannt wird, um die neue soziale „Apartheid“ in den Townships der Wohlhabenden im südlichen Europa zu rechtfertigen.
Das hört sich natürlich irgendwo zynisch an, doch, genau genommen: Lauern nicht überall Fanatiker, Verbrecher und Attentäter? Spricht nicht die UNO von einer Verdoppelung der Slumbevölkerung bis 2030 auf voraussichtlich zwei Milliarden Menschen? Sind die Reichen auf der Flucht vor dem Terror, oder aber, auf der Flucht vor der Armut? Es ist jedenfalls kein Wunder, dass bewachtes Wohnen weltweit expandiert und somit auch ein erstklassiges Geschäft bietet. Vor allem die Sicherheit wird dabei zum exterritorialen, zunehmend privaten Luxusgut. Das neue Wohnen ist dabei das notwendige Spiegelbild zum Nicht-Ort der modernen Lager der Flüchtlinge und Terrorismusverdächtigen. An einem Ort sammlen sich die absolut Rechtlosen, denen nur das nackte Leben bleibt, an anderer Stelle die absolut Reichen mit der Macht, eigene privatisierte Sicherheit und absoluten Wohlstand zu etablieren. Naturgemäß sind beide Lagertypen moderne Sonderrechtszonen.
Auch in Deutschland gibt es eine Diskussion um die Gefahren der Parallelgesellschaft. Das Stichwort fällt bisher vor allem, wenn es um die Präsenz der drei Millionen Muslime in Deutschland geht. In Wirklichkeit besitzen die Muslime aber nur spärliche, eigene Infrastrukturen. Als „populistisch vertretene These“ wird beispielsweise vom deutschen Zuwanderungsrat die Behauptung abgetan, Migranten würden eine „Parallelgesellschaft“ und eine „Fundamentalisierung“ anstreben. „Dafür gebe es in der vergleichenden Forschung keine empirischen Belege“, formuliert es das Jahresgutachten des Zuwanderungsrates trocken. Gerade muslimische Organisationen und die meisten Moscheen im Lande versuchen, eher verbissen ein wenig gesellschaftliche Akzeptanz zu erringen. Gerade als religiöse Minderheit verbindet man mit dem Leben in einer Parallelgesellschaft in Deutschland eher Ängste, als etwa eine Zukunftsvision.
Sind Parallelgesellschaften der sozial Rechtlosen, der Reichen oder Immigranten also wirklich ein Szenario für Deutschland? Natürlich gibt es bei uns bereits Vorstufen und Beispiele konkreter, zumindest potentieller Parallelgesellschaften, seien es die Ausländerghettos in Duisburg, von Faschisten bereinigte „ausländerfreie“ Zonen in Ostdeutschland oder aber die exklusiven Straßen der Superreichen in Hamburg oder München. Gemeinsames oder Verbindendes haben diese soziale Felder immer weniger. Allerdings haben wohl nur die Reichen in Europa wirklich die Macht, solche Zonen dauerhaft einzurichten und gesellschaftlich zu verteidigen.