„Es gibt überhaupt keinen Grund die Demokratien zu bemitleiden, wenn ihnen Feinde zuwachsen, denn sie sind ihre wertvollsten Verbündete. Wenn wir für das Jahrhundert mit seiner langen marxistischen Ära und seinen neuen Apokalypsen ein Fazit ziehen wollen, so können wir feststellen, daß die Demokratien, mögen sie auch als Nationen manche Schlacht verloren haben, als Repräsentanten eines Systems alle Kriege gewonnen haben.“ (Jean Chrisophe Rufin; Aus: Die Diktatur des Liberalismus; 1994)
Der Kampf um die politische Mitte in der deutschen Gesellschaft ist nicht deswegen schwierig, weil es so viele Extremisten gäbe, sondern vor allem deshalb, weil viele BürgerInnen sich von der Politik abgewendet haben. Die große Mehrheit hat sich entpolitisiert oder versteht kaum noch die grundsätzlichen Unterschiede zwischen CDU- oder SPD-Positionen. Die neoliberale Bewegung wiederum hat die Globalisierung und die sich daraus ergebenden Reformzwänge zum unabwendbaren Schicksal erhoben. Warum also überhaupt entscheiden?
Dennoch lebt das politische Feld von Gegensätzen. Über Jahrzehnte hat das politische Denken in Links-Rechts-Kategorien gedacht. Die Feindschaft mit dem Kommunismus hat das geopolitische Denken bis in die 1990er Jahre geprägt. Viele politische Beobachter glauben nun, dass diese Feindschaft durch eine neue Gegnerschaft mit dem Islam oder Islamismus abgelöst wurde. Natürlich gibt es bei diesem einfachen Bild auch Widersprüche, wie zum Beispiel die amerikanische Unterstützung für die Uiguren, Bosnier oder Albaner.
Auch in der Innenpolitik erleben wir die Konstruktion neuer künstlicher Gegensätze. Im Kern entsteht eine neue Konstellation: Islambefürworter gegen Islam-Gegner. Einige Internetseiten versuchen diesen neuartigen Konflikt mit allen Mühen zu politisieren, als ginge es um die drohende Machtergreifung von Islamisten und deswegen für die Gegner um die Rettung der Freiheit. Sie sind böse, wir sind gut. Diese neue Gegnerschaft stiftet nicht nur eine auf Negation beruhende Identität, sondern verbindet heute ehemals linke und rechte Außenseiterpositionen.
Besonders skeptisch muss man das Gegensatzpaar Wert-Unwert betrachten. Der Mensch, der die kollektive Angst vor dem Bösen auf sich zieht, wird als Unwert zum rechtlosen Halter des nackten Lebens, verschwindet oder wird Folter ausgesetzt und an einen rechtlosen Ort, das Lager, verbracht. Selbst wenn man davon ausgeht, dass dieser böse Mensch sein Schicksal selbst verschuldet hat, muss klar sein, dass die Rechtlosigkeit des Verfahrens impliziert, dass auch tausende Unschuldige sein Schicksal teilen.
Gerade im Ramadan ist es gut, sich daran zu erinnern, dass der islamische Gedanke nicht von der politischen Freund-Feind-Unterscheidung lebt. Wir sind nicht gegen jemanden, aber für Allah. Im Kern unserer Existenz steht das Lob für die Schöpfung, nicht etwa ein Gegner oder ein Feind. Diese Grundtatsache hat der muslimische Modernismus aufgelöst, der sich auf Politik reduziert und entscheidend gegen einen Feind definiert.
Die weltstaatliche Globalisierung hat heute praktisch alle politischen Bewegungen entweder aufgelöst oder ihrem Reformzwang unterworfen. Auch die politischen Flügel des Islam sind entweder Teil der Reformpolitik oder als Extremismus die Vorlage für eine verfeinerte Überwachung. Der Staat ist so auch gewappnet für Krisensituationen, die sich aus den Unwägbarkeiten der kommenden Reformzwänge ergeben könnten.
Das Praktizieren des Islam ist keine politische Handlung, die man besonders liberal oder extrem ausüben könnte, sondern ergibt sich aus dem offenbarten Recht. Im Bereich der globalen Ökonomie setzt dieses Recht der ökonomischen Macht eine Grenze. Die endlose Geldvermehrung ist das Prinzip „contra naturum“ und aggressiver Natur. Im spirituellen Bereich erfahren wir im Ramadan die menschliche Möglichkeit, den Materialismus nicht als allein bestimmende Größe zu erfahren.