So bewegen sich viele Menschen auf unsicherem Terrain. Obwohl Lebenszeit und Massenkonsum ein historisch nie gekanntes Niveau erreicht haben, grassiert vielerorts eine merkwürdige Unruhe, ja Hysterie. Mitnichten hat die Neuzeit den Tod aus dem Bewußtsein verdrängt. Die Gesellschaft scheint besessen vom Gedanken ihrer Vergänglichkeit. Je rascher die Verhältnisse wechseln, desto unvertrauter das Leben und desto größer das Mißtrauen gegenüber anderen und sich selbst. Daraus entspringt der unbedingte Wille zur Sicherheit. Mit aller Kraft klammert er sich an die Illusion der Dauer und Solidität.“ (Wolfgang Sofsky aus: „Das Prinzip Sicherheit“)
„Geworfenheit“, mit diesem philosophischen Ausdruck bezeichnete einst Martin Heidegger die Tatsache, dass wir unsere Lebensverhältnisse uns nicht etwa aussuchen, sondern in sie hineingeworfen werden. Wir entdecken sodann unsere Existenz, insbesondere den Umstand, dass wir fragen können, in erster Linie nach dem Sinn unseres eigenen Daseins.
Die Mutter aller denkbaren Krisen ist die Feststellung unserer eigentlichen Endlichkeit, der wir uns als denkende Menschen, die in den Tod vorlaufen können, nicht entziehen können. In diesem Spannungsverhältnis suchen wir also nach Antworten und, wenn wir diese Grundfragen nach der eigenen Endlichkeit nicht positiv reflektieren und beantworten können, enden wir, je nach dem, mit fatalistischen oder existentialen Krisen.
Akzeptieren wir aber die Situation, die unser Schöpfer für uns vorgesehen hat, so oder so, erreichen wir eine eigene Form der Freiheit und kein Wind einer noch so großen Krise kann uns einfach wie Laub vor sich hertreiben. Insofern ist für viele Menschen, natürlich auch die, die den Islam als Antwort akzeptieren, die Krise nichts anderes als eine Erinnerung an die Möglichkeit eigener Veränderung.
Max Frisch hat dies einmal so formuliert: „Krise kann ein produktiver Zustand sein. Man muß ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Der Fakt, dass wir immer wieder in kleinen und großen Krisen leben und sie auch als solche erkennen können, ist also nicht per se etwas Furchtbares, auch wenn mit dem „Beigeschmack der Katastrophe“ heute beinahe alle modernen Verwerfungen präsentiert werden.
Das liegt auch daran, dass die Medien selbst Teil einer Katastrophenwirtschaft sind und in erster Linie alte Sensationen immer wieder neu verkaufen müssen. Schlagen wir heute Zeitungen auf, schlagen uns überall Verlustmeldungen, Spekulationen über die Zukunft und negative Erwartungen entgegen – wo immer kein Gewinn gemacht wird, wo immer sich kein ewiges Wachstum abzeichnet, handelt es sich dann um eine angeblich bedrohliche „Krise“.
Es gehört also zu den Gaukeleien, dass uns die Moderne andauernde Sicherheit bauen will. Hier gilt ein treffendes Dichterwort. „Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, / Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten…“ heißt es bei Friedrich Schiller. Sicherheit ist kein materieller Zustand, sondern vielmehr eine geistige Wirklichkeit. Die Schlüsselfragen unseres Daseins verändern sich nicht.
Im Islam ist das alte Thema der eigenen Angst um die Versorgung zentral. Es steht in direktem Zusammenhang zum Wissen oder Nicht-Wissen über die Großzügigkeit der Schöpfung. Der große Wali Allahs, Saijid Abu Jazid Al-Bistami, möge Allah mit ihm zufrieden sein, sagte über seine „Sicherheit“: „Ich muss Ihn anbeten, da Er es mir vorgeschrieben hat, und Er muss mich versorgen, so wie Er es mir versprochen hat.“
Neben den ökonomischen Wissenschaften, dem Zinsverbot, den Gesetzen des Handels und Marktes lehrt der Islam so auch eine innere Gelassenheit, die kein materieller Reichtum je vermitteln könnte. In seinen Briefen an seine Schüler, beschreibt Schaikh ad-Darqawi dies so:
„Wir können sehen, dass die meisten Leute über viele Mittel verfügen – im Din und in dieser Welt. Und doch fürchten sie sich so sehr vor Armut. Wenn sie die guten Dinge in der Beschäftigung mit Allah kennen würden, dann hätten sie sämtliche weltlichen Mittel ignoriert und sich alleinig mit Seinem Befehl beschäftigt. Da sie ignorant sind und kein Wissen haben, häufen sie Mittel dieser Welt und des Dins an und doch ist ihre Sorge aus Furcht vor Armut und Furcht vor den Geschöpfen nicht beruhigt. Dies ist eine große Unkenntnis und ein beschämender Zustand. Die meisten Menschen befinden sich darin – beinahe alle. Wir suchen Zuflucht vor Allah!“