Terrorismus, dies dürfte wohl das meist zitierte politische Wort des 21. Jahrhunderts sein. In dem Moment, als die WTC-Türme in New York krachend in sich zusammenfielen und die furchtbaren Bilder live um die Welt gesendet wurden, hatte das spannungsreiche 21. Jahrhundert sein Symbol. Das Jahrhundertverbrechen wurde nicht nur zum Impulsgeber für geopolitische Machenschaften, sondern auch zum Auftakt für die weltweite Auseinandersetzung mit dem Islam.
Es gehört zum Dilemma der öffentliche Debatte, dass der Islam von diesem Tag an in erster Linie als eine politische Bewegung erscheint, die zudem häufig in den abgetragenen Kleider der Ideologie präsentiert wird. Die Konzentration auf den Islamismus und die Reduzierung des Islam auf Politik verstellen die Sicht auf die wirklich aktuellen Bezüge des islamischen Wirtschaftsrechts oder muslimischer Sozialkompetenz. Eine islamistische Organisation erkennt man übrigens daran, ob sie zivilgesellschaftliche, freie Projekte (z.B. Stiftungen) zu Gunsten der Muslime fördert, oder aber die absolute Kontrolle anstrebt.
Für den Islam in Deutschland gehörten die Zeiten des Schattenlebens in den Großstädten schlagartig der Vergangenheit an. Kritische Fragen an die Mitglieder der muslimischen Community wurden noch in den 1980er und 1990er Jahren eher als Ausländerfeindlichkeit abgetan. Der Bosnienkrieg, der Europa in den 90er Jahren prägte, hatte die Muslime in Europa als Opfer, nicht etwa als Täter in das öffentliche Bewusstsein gerückt.
Nach dem 11.9. gab es den alten Begriff der „Ausländerfeindlichkeit“ praktisch nicht mehr. Die muslimische Szene wurde von echten und selbsternannten Experten ausgeleuchtet. Die Verfassungsschutzämter überarbeiteten hektisch ihre Seiten, denn kein Amt hatte aus Rücksicht auf die engen wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands das Wort „Saudi-Arabien“ auch nur erwähnt. In Baden-Württemberg gehörte ein ehemaliger V-Mann sogar zur Gründungsclique der militanten, salafitischen Bewegung in Deutschland.
Die in Deutschland lebenden Muslime schwankten nach dem spektakulären Verbrechen zwischen Schockstarre und Verschwörungstheorie. Hatte eine in Hamburg ansässige Zelle muslimischer Studenten wirklich unbemerkt einen Stoß gegen die Supermacht richten können? Auch wenn der Kriminalist in uns zu Recht auf vernünftige Aufklärung pocht, die nötige Abgrenzung zwischen Muslimen und Ideologen kann keine simple Verschwörungstheorie ersparen. Es ist leider Gottes wahr, dass sich der arabische Modernismus – gewissermaßen per Technologietransfer – mit den Techniken der Ideologie vertraut machte.
Signifikanter als die Sprachlosigkeit des muslimischen Establishments angesichts der schockierenden Umtriebe des globalen Terrors war das Schweigen der Lehre. Es vergingen quälende Monate, bis sich das absolute Verbot von Selbstmordattentaten als Lehrmeinung wieder durchgesetzt hatte. Viele Muslime können bis heute – von den eigenen islamischen Wissenschaften entfremdet – den Unterschied zwischen Politik und Recht nicht mehr denken. Der Terrorismus und der maßlose Kampf dagegen symbolisieren heute gleichermaßen die Krise des Rechts.
In den Moscheen blickte man sich zu den Freitagsgebeten schweigend an. Vielleicht fiel uns jetzt erst auf, dass die Muslime in den Moscheen jahrzehntelang unter sich blieben, dass in einer anderen Sprache als die im Lande übliche kommuniziert wurde und dass sich viele Gemeinden so am Rande der Gesellschaft wieder fanden. Das Schild „Kulturzentrum“, das sich viele triste Gebetshäuser in den Gewerbegebieten an die Tür nagelten, ließ Fragen offen. Eingezwängt zwischen Reifenhandel, ALDI und Bundesstraße lassen allein schon die meisten Räumlichkeiten wenig Kultur zu.
Die Hausherren, die Verbände, die sich auch als ethnische Minderheiten definiert hatten und an einer Öffnung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft lange Zeit wenig Interesse hatten, fanden nur langsam Antworten auf die neue Situation in Deutschland. Das ethnische oder nationale Merkmal wurde – gegen die Lehre des Islam – zu einem Unterscheidungsmerkmal. Bis heute ist es für einen Immigranten noch leichter, anerkannter Bundesbürger zu werden, als für einen Deutschen, anerkanntes Mitglied bei einem der Verbände.
Für die einfachen Muslime – ob organisiert oder nicht – wurde es allerdings Zeit, neue Antworten zu finden. Besucher, die forsch nach Ausrichtung und Inhalten hinter den Moscheemauern fragten, häuften sich. Selbst gute Nachbarn blickten irgendwie skeptisch über den Gartenzaun. Jeder Muslim musste nun praktisch über Nacht als Universalexperte beinahe jeden Vorgang mit muslimischer Beteiligung kommentieren. Nur langsam gelang es, intellektuelle Grobheiten im Zaum zu halten: Ja es gibt einen muslimischen Bankräuber, nein, der Islam befürwortet Bankraub nicht!
Eigentlich wäre dies eine Zeit für deutsche Muslime gewesen. Aber auch hier wirkte die Assoziationskraft des Terrors wie eine Walze. Schnell waren deutsche Wirrköpfe gefunden, die als muslimische Fanatiker mögliche Brücken einrissen. Es waren so genannte „Konvertiten“, die schon intellektuell an der wichtigen Botschaft scheiterten, dass der Islam eben keine Kultur ist. Für deutsche Muslime wurde es ungemütlich; war man vor dem 11.9. eher ein geduldeter Spinner, musste man sich jetzt vor Kriminalisierung und herben Assoziationsketten hüten.
Die Deutschen sind unheimlich konsequent in ihren Feindbildern. Die kompromisslose Logik des Islamismusbegriffs erlaubt keine politischen Unkorrektheiten, erschwert Differenzierungen und kann bedenklicherweise keine religiöse Orthodoxie mit Existenzberechtigung mehr denken. Ihre Theoretiker suggerieren gerne eine Wesensgleichheit zwischen allen Ideologien. Der Kampf gegen Adolf ist dann angeblich der gleiche Kampf wie gegen „Ali“.
Praktisch führt eine Markierung als „Islamist“ heute zu Berufsverboten, Verbannungsritualen, zum Karriereende. Es ist ein vager, unbestimmter Begriff, der Orthodoxe und Schwerkriminelle gleichermaßen umfasst. Schon deswegen muss immer wieder um die Definitionshoheit gestritten werden. Es droht eine Wirklichkeit, in der schon der Besuch einer Moschee als Fanatismus gilt.
Positivität siegt. Es ist das Elend der Islamkritiker, dass ihre heile Welt auf einer simplen Negation beruht. Die deutsche Kulturnation – Provinz, Dichter, Denker – ist nicht viel mehr als ein Traum vergangener Tage. Heute müssen Kultur und Nation neu definiert werden, mit neuen Trägern, neuen Inhalten und neuen Beiträgen. Die Muslime sollten das Gebot der Stunde nutzen und endgültig ihr inneres Ghetto verlassen.
Der Islam gehört dann zu Deutschland, wenn wir Muslime unseren Entdeckerdrang wieder finden, uns nicht nur in Rückzugsorten aufhalten, oder da, wo die Sonderangebote sind, sondern auch in Baden-Baden, Sylt oder Weimar sichtbar werden. Es geht darum, Inhalte aufzuspüren, neu zu deuten und unsere Moscheen zu echten Kulturzentren auszubauen, also mehr denn je unsere Beiträge und Angebote zu bestimmen.