Die Webseite SPIEGEL-online berichtete gestern über eine merkwürdige „Lizenz zum Verleumden“, die einen weiteren Tiefpunkt im Verhältnis Staat und Bürgern andeuten könnte. Mit „gefälschten Blogs, negativen Web-Kommentare“ wollte der britische Geheimdienst GCHQ, der bekanntermaßen gleichzeitig über einen beachtlichen Datenschatz verfügt, unliebsame Menschen online verleumden und diskreditieren. „Die Geheimdienste haben sich mit der Macht ausgestattet, vorsätzlich den Ruf von Leuten zu ruinieren und deren politische Aktivität im Netz zu stören“, fasste der Snwoden-Vertraute Glen Greenwald die Lage nüchtern zusammen. Natürlich geht es hier immer auch um Bürger, die keine erkennbare Verbindungen zu Terrorismus haben oder gar eine Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellen.
In Deutschland wird schon länger kritisiert, dass Experten und Journalisten im Auftrag so genannter „Vorfeldorganisationen des Verfassungsschutzes“ tätig sind. Die Unabhängigkeit dieser „Panikmacher“, die aktiv protegiert werden und die öffentliche Meinung beeinflussen, wird leider zu selten öffentlich zum Thema gemacht. Es gibt natürlich auch bei uns längst einschlägige Verfassungsschutzberichte, die – mangels „staatsgefährdender“ Substanz der Betroffenen – allein auf die Rufschädigung durch bestimmte Assoziationen abzielen.
Die Markierung von Muslimen als „Islamisten“ oder neuerdings verstärkt auch als „Salafisten“ bieten leider einige Möglichkeiten im fragwürdigen Umgang mit Andersdenkenden, da jeder Normaldeutsche die angewandten Sammelbegriffe irgendwie mit „Mord“ und „Totschlag“ verbindet, damit eine Ausgrenzung garantiert ist; auch wenn die so Bezeichneten oft nur „Funktionäre“, Gemüsehändler oder einfach nur orthodox praktizierende Muslime sind. Wie heißt es so schön in einem deutschen Sprichwort: „Am meisten Erfolg hat die Verleumdung, wenn ein Körnchen Wahrheit darin enthalten ist.“ Ein anders Thema ist natürlich der selbstverständlich legitime Einsatz von Sicherheitsbehörden gegen muslimische Verbrecher oder Terroristen.
Ich reagiere grundsätzlich allergisch, wenn ich im Internet erlebe, wie einschlägige Assoziationstechniker – im Stile selbsternannte Staatsanwälte – „Markierungen“ vornehmen, die vorschnell auf Verleumdung durch schlimmste Assoziationen hinauslaufen. Es ist meiner Auffassung nach wichtiger denn je, dass „freie, unberechenbare, souveräne“ Denker aller Couleur unter „Naturschutz“ gestellt werden. Man mag sich über diese Querdenker aufregen, aber sie sind letztlich die Sauerstoffmoleküle einer denkenden Gesellschaft. Selbstredend gehört auch die bedingungslose Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit hierher. Und wo sonst als mitten im anderen Lager der Andersdenkenden soll man denn, bitte schön, die eigene Position bewerben, stärken und ausbauen?
Der französische Schriftsteller und Staatstheoretiker Montesquieu (1689-1755) reflektiert in seinen Aufzeichnungen („Mes pensées“) über das anscheinend zeitlose Thema Staat-Bürger: „In dem Maße, wie die Herrscher Wege entdeckten, um hinter unsere Geheimnisse zu kommen, und die Kunst erlernten, unsere Briefe zu öffnen, ohne daß man es merkte, erfanden wir die Kunst, ihre Geheimnisse durch verborgene Arten des Druckens publik zu machen.“ (791)
Montesqiueu definiert so bereits die Idee des „wehrhaften“ Bürgers, der eines Tages als Antwort auf die totale Überwachung durch den Staat seine Gegenmittel – von „wikileaks“ bis zu „alternativen Medien“ – finden muss. Man sollte aufpassen, dass diejenigen, die von „wehrhafter Demokratie“ sprechen, nicht die soziale Existenz des „wehrhaften“ Bürgers bedrohen.