Es bleibt eine der Grundfragen unserer Zeit, wie der Islam zu Beginn dieses Jahrhunderts der Technologie seine Präsenz in der Welt entfalten wird.
Die Anschläge des 11. September und die Tötung bin Ladins (angeblich) im Mai stellen eine wichtige Zäsur dar, es folgt nun, so hoffen und beten wir, endlich das „post-terroristische“ Zeitalter.
Die absolute Mehrheit der denkenden Muslime hat längst durchschaut, dass das Phänomen des muslimischen Terrorismus von zynischer Destruktivität durchdrungen war und nebenbei eine gegen die Muslime gerichtete Geopolitik erlaubte. Die absolute Mehrheit muslimischer Gelehrter zeigt heute überzeugend auf, dass die Möglichkeit eines „Islamischen Terrorismus“ undenkbar ist und mit der typisch ideologischen Verachtung des islamischen Rechts einhergehen muss.
Die Crux eines originären Verständnisses des Islam bleibt überhaupt die Bestimmung des Verhältnisses des Islam zu modernen Ideologien.
Noch immer verfremden Muslime die Essenz des Islam mit der Aufbereitung islamischer Lehre und Weisheit hin zu ideologischen Positionen. Der Salafismus beispielsweise politisiert die Grundlage eines Islam nach „Buch und Sunnah“, indem er als gesellschaftliche „Lösung“ ein puritanisch-individuelles Zwangssytem propagiert, ohne auf die eigentliche Herausforderung und Priorität dieser Zeit, die bei der Zahlung der Zakat und generell in der Umsetzung einer schöpfungsgerechten Ökonomie liegt, eine Antwort zu haben.
Deswegen verträgt sich der Wahabismus, ansonsten „moralisch“ scheinbar hyperkorrekt, durchaus mit dem Unwesen des internationalen Bankensystems. Als „Gesprächskultur mit Lautsprecher“ sorgt dieser moderne Salafismus auf Deutschlands Straßen für einen sich vertiefenden Graben zur europäischen Intelligenz, insbesondere der Frauen, und verhindert so mit seinen simplizistischen Inhalten eine echte Beschäftigung Europas mit der eigentlichen Größe des Islam.
Die ideologischen Fraktionen der Muslimbruderschaften wiederum sorgen für die Entfremdung des Islam durch die Ideologisierung des Grundsatzes „Islam und Scharia“. Im Mittelpunkt ihrer Politik steht so die Verbreitung eines Systemdenkens, aufbereitet mit kontextlos präsentierten Verboten, im Kern die Idee eines modernen Polizeistaates mit Alkoholverbot, der die arabische Jugend bereits sichtbar von dieser kalten Lehre älterer Herren abwenden lässt.
Für ein echtes Verständnis des Islam muss die islamische Lebenswirklichkeit als eine Welt der gerechten „Transaktionen“ verstanden werden. Die alltägliche Begegnung mit Schöpfer und Schöpfung, die sozialen Transaktionen mit der Umwelt, der Nachbarschaft und – natürlich – die Transktionen des gerechten Handels und der ökonomischen Verträge stehen hier im Mittelpunkt. Das Symbol dieses Islam ist nicht das Kopftuch, sondern der lebendige, pulsierende freie Markt. (Wie ich in meinem Büchlein „Weg mit dem Zins“ zu zeigen versuche, könnten die Marktgesetze des Geldes auch Grundlage des eigentlichen, intelligenten Dialogs mit Nicht-Muslimen sein.)
Ohne diese Einbettung in die komplexe Organik freiheitlicher ökonomischer Transaktionen, mutiert der Islam, kopf- und ideologielastig, zu einem „metaphysischen Tauhid“. Opfer sind häufig dabei häufig die Frauen, die es mit einem frustrierten, religiösen Patriarchen in der Enge einer 3-Zimmer-Wohnung zu tun bekommen. Innerhalb echter Gemeinschaft, gebildet durch aktive Frauen und Männer, werden sich in der Reibung ihres sozialen Lebens ideologische Positionen und Extreme auflösen müssen.
Die Trennlinie zwischen Islam und Ideologie muss klar vollzogen werden, um intellektuell das faszinierende Gespräch über das Verhältnis zwischen Europa und dem Islam zu beleben.