„Throne bersten, Reiche zittern“, hieß es im West-östlichen Diwan. Die Zustandsbeschreibung passt heute auf den Nahen Osten, wo zur Zeit eine neue geopolitische Ordnung zu entstehen scheint. Staaten wie der Irak oder Syrien stehen vor ihrem endgültigen Zerfall und sind durch ihre Bürgerkriege explosiv geworden. Millionen Flüchtlinge bleibt nur das nackte Leben. Interessierte Dritte, Regionalmächte und Großmächte, agieren im Hintergrund; stets besorgt, ihre Einflusszonen zu wahren, und insbesondere interessiert, die Kontrolle zu den Erdölfeldern der Region nicht zu verlieren.
Eine Folge des Chaos ist das Auftreten „irregulär“ kämpfender Akteure. Es sind nicht mehr nur staatliche Armeen, die sich gegenüberstehen, Kriege erklären oder beenden. Es sind auch private Armeen, Söldnertruppen und Partisanen, die im Interesse Dritter und ohne die Mäßigung des Rechts kämpfen. Das Fehlen erkennbarer Uniformen ermöglicht es auch innerhalb der Formationen, bestimmte Akteure auszutauschen, Gruppen zu unterwandern und stets neue Kämpfer in die Kampfhandlungen einzuführen.
Die unübersichtliche Lage und der Zugang aller Beteiligten zu den sozialen Medien – mitsamt der Option, falsche und inszenierte Bilder in Umlauf zu bringen – erfordert beim Beobachter also eine gewisse Skepsis, die bei der Beurteilung des Unterschiedes zwischen Sein und Schein immer nötig ist. Verkleidung und Maskerade, optische und rhetorische Täuschungen sowie das geschickte Abrufen von Bilder überhaupt gehören mit zur psychologischen Kriegsführung.
Die Krise des Rechts zeigt sich im permanenten Ausnahmezustand und – daraus folgend – in den diversen Formen des Ausnahmerechts, die sich in praktisch in allen Rechtstraditionen eingeschlichen haben. Auf Grundlage der „Ausnahme“ wurden nicht nur Lager betrieben und Drohnen als Exekutionsinstrumente eingesetzt, sondern auch Selbstmordattentate und der Terror gegen Zivilisten legitimiert.
Archaische Handlungen, die auf längst überwundene Phasen der Menschheitsgeschichte verweisen, schließen das Anwesen moderner Ideologie nicht aus. Der Rückgriff auf die Folter demonstriert auch heute den Anspruch auf absolute Gewaltwendung. Die Idee, dass der Zweck die Mittel heiligt, der maßlose Einsatz der Gewalt an sich, das Postulat „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ trägt zu den nihilistischen Rahmenbedingungen des Geschehens bei.
Genauso bedenklich wie die Zerstörung der Symbole jahrhundertelangen, harmonischen Zusammenlebens ist der Kampf gegen die Begriffe. Jede Rechtsordnung besteht auf der klaren Definition von Institutionen sowie den erlaubten oder verbotenen Handlungen. Die Assoziation von Begriffen mit Maßlosigkeit, Gewalt und Terror macht ihre unvoreingenommene Nutzung nahezu unmöglich. Ohne die Möglichkeit der Benennung, die jede Lehre ausmacht, verfallen schließlich auch die Möglichkeiten alternativer Denkformen.
Aus dem Zusammenbruch der Staaten entsteht notwendigerweise die Vision weltstaatlicher Dominanz; gebildet aus der Macht der Geheimdienste, der internationalen Banken, der global operierenden Holdings, die nicht nur die Werte bestimmen, sondern auch den Religionen den Ort zuweisen und jeden Widerstand delegitimieren. Das archaisch anmutende, im Grunde aber selbstmörderische Konzept der ewigen Rebellion dagegen ist immer auch wichtiger Geburtshelfer neuer weltstaatlich orientierter Strukturen.
Der Islam ist ein Nomos, der sich nicht mit Gewalt etabliert, sondern sich aus der Balance sozialer und ökonomischer Institutionen bildet und – durch die Achtung des Rechts – zur politischen Mäßigung verpflichtet. Nur wer in absoluter Geschichtslosigkeit lebt, kann die Deklaration einiger Revolverhelden, die sich mit geleasten Fahrzeugen in der Wüste zusammenrotten, mit dem Anspruch einer muslimischen Zivilisation verwechseln.