Die Debatte um die „Muslime in Deutschland“ ist – wie Daniel Bax in der taz heute zu Recht feststellt – vor allem eine Debatte um die Deutungshoheit. Bestimmen zu können, was der Islam überhaupt oder ein „Islamist“ im Speziellen sei oder sogar zu behaupten, dass jeder Muslim es sei, ist natürlich Ausdruck einer starken gesellschaftlichen Machtposition. Der Vorteil der bekannten Islamgegner ist, dass sie – auch als erklärte Außenseiter – in das Zentrum der Massenmedien geschoben werden und dort – nebenbei so in der eigenen intellektuellen Bedeutung überhöht – den Islam mit allerlei Trübem assoziieren können.
Bezeichnend ist für die meisten IslamgegnerInnen, dass es ihnen erfolgreich gelingt, die Wahrnehmung des Islam mit latenter Furcht vor Immigration und Überfremdung einigermaßen subtil zu vermischen. Das Wort „Ausländerfeindlichkeit“, dass die Muslime vor dem Rassismus der rechten Flanke schützte, wurde in Deutschland inzwischen abgeschafft. Selbstredend müssen in dieser Logik die „deutschen Muslime“ als Abtrünnige und Verwirrte erscheinen. Und bei der den Islam denunzierenden „Gewaltdebatte“ über einige muslimische Extremisten in Europa wird das Schicksal der europäischen Muslime auf dem Balkan schlicht vergessen.
Am Ende geht es in der Debatte um das Verhältnis der Mehrheit zur Minderheit. Denn, was wir ja zunehmend erleben – beispielsweise bei der Besetzung von Rundfunkräten, Parlamenten oder Konferenzen – ist die von der Mehrheit organisierte, machtvolle Integration oder manchmal auch bewusste Nicht-Integration der Muslime in die Gesellschaft. Selbstredend findet bis heute keine Debatte über die Verfahrensregeln im Umgang mit der betroffenen Minderheit statt: Warum darf beispielsweise kein einziger Teilnehmer oder Teilnehmerin der Islamkonferenz von den Muslimen selbst frei bestimmt werden?
Hierher gehört auch der mediale Dauerbeschuss, gerne auch auf diejenigen Vertreter des Islam, die wohl in der Lage wären, den intellektuellen Angriffen zu trotzen, aber auch die allgemeine Flucht aus der Öffentlichkeit, die sich bei vielen Muslimen heute beobachten lässt und die man auch weniger romantisch als Folge einer Einschüchterung begreifen könnte. Wer kann es sich auch leisten, ein „Islamist“ oder eine „Islamistin“ zu sein? Schon so gibt es eine faktische Diskriminierung der Muslime, die man beim Mieten von Sälen, beim Abschluss von Mietverträgen oder die umgreifende Durchsetzung eines de facto Berufsverbotes gegenüber kopftuchtragenden Muslimas erleben kann. Schafft sich so die Mehrheit mit ihren Machtinstrumenten ihre religiös-neutrale Wunschgesellschaft?
Ich habe gerade eine typische Einladung zu einer Konferenz über die Imamausbildung gesehen. Man sieht bei kurzer Durchsicht der aufwendigen Konferenz schnell ein Grundprinzip am Wirken: Das Auswahlverfahren der Redner und Fachleute garantiert bestimmte inhaltliche Mehrheiten und – natürlich zufällig – die Mehrheit der nicht-muslimischen Teilnehmer. Gleichzeitig zeigen leider die ratlosen Räte und Koordinationsgremien der Muslime, dass – zumeist aus durchsichtigen Machterwägungen – man zu keinerlei eigenen Absprachen und Koordinationen – geschweige denn zu alternativen Konferenzen – fähig ist.
Bei dem Vorgang der Integration der Muslime in Deutschland ist somit zunehmend die „Organisationshoheit“ die Frage entscheidend: Wer lädt wen ein? Wer wen aus? Wer rückt wen wo ins Zentrum? Das Problem ist klar, wird das Vorhaben der Integration zum Vollzug einer kalten Technik, bestimmt einfach die Mehrheit die Regeln und Inhalte und drängt somit alles an den Rand, was ihr als Mindermeinung nicht genehm ist. Es gibt hoffentlich noch den gesellschaftlichen Konsens, dass die Mehrheit nicht bestimmen kann, woran die Minderheit künftig glauben soll.