Der Kampf gegen den „Islamismus“ findet in der Bevölkerung breite Zustimmung, weil der Kampf gegen den Terrorismus mit diesem praktisch gleich gesetzt wird. Deswegen sind medienwirksame Maßnahmen gegen „Islamisten“ auch willkommene Möglichkeiten, das Bild des (angeblich) schwachen Staates zu korrigieren.
Die öffentlich betriebene Mengenlehre ist aber tückisch. Es wird – zum Beispiel – vergessen, dass gerade auch orthodox-praktizierende Muslime eine klare und fundierte Argumentationslinie gegen Terroristen haben. Vergessen wird oft auch, dass sogar der Begriff „Islamismus“ in Fachkreisen umstritten ist, weil er de facto nicht klar bestimmt werden kann.
Die Folgen der Markierung als „Islamist“, anstelle der möglichen Bezeichnung „Gläubiger“, sind enorm. „Islamisten“ sind praktisch „vogelfrei“ und dürfen gejagt werden. Die Schnittmenge „Islamisten“ wird heute durch Behörden, die wiederum beraten werden, gebildet. Beraten durch wen? Es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass zumindest einige dieser BeraterInnen durchaus „islamophobe“ Einstellungen haben. Unter diesen komplexen Voraussetzungen muss man auch das lange Verfahren und die anschließende sang- und klanglose Einstellung gegen muslimische Funktionäre bewerten. Es braucht eine wache Öffentlichkeit, um hier klar zu unterscheiden. Immerhin war das Verfahren gegen die Betroffenen, beispielsweise die IGMG, mit einigem Getöse, Polizei und „zufällig“ anwesenden Kamerateams im Umfeld von Gebetshäusern begonnen worden.
Es war, wie der Journalist Till Stoldt von der „Welt“ in einem bemerkenswerten Artikel im Januar schrieb, „eine Demonstration der Stärke, die der Staat vor allem im Dezember 2009 vor und in den Büroräumen der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) in Kerpen und Köln vornahm“.
Stoldt fällt auf, dass es sich hier um durchaus harte Maßnahmen für die Betroffenen handelte. Ich finde, dem Journalisten, der ja nicht gerade für ein islamverliebtes Haus schreibt, gebührt für diesen Artikel nochmals einiger Respekt. Aber auch den schlichten Abdruck einer solchen Analyse muss man natürlich ebenso anerkennen.
Stoldt stellte also bereits im Januar nüchtern fest, dass sich „juristisch seit den Durchsuchungen fast nichts mehr getan hat“. Stoldt tut, was man als Journalist tun sollte: er recherchiert. Er spricht, das ist leider die Ausnahme, mit den Betroffenen. Seine journalistische Arbeit ist eine einzige Ausnahme. Er denkt einen möglichen Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf die zweite Islamkonferenz an. Er übernimmt nicht einfach unkritisch alle Kategorisierungen, nur weil sie von „oben“ kommen. Mehr noch, er stellt auch unbequeme Fragen wie „handelten die Kölner und Münchener Staatsanwaltschaften auf politische Ermunterung hin?“. Er durchdenkt die Argumentationslinien beider Seiten und liefert so eine der wenigen, journalistisch anspruchsvollen Aufarbeitungen des Falles.
Das ist, um ein altmodisches Wort zu bemühen, „Qualitätsjournalismus“. Es gibt ihn noch.