„Dreifach ist der Schritt der Zeit: Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, pfeilschnell ist das Jetzt verflogen, ewig still steht die Vergangenheit.“ (Friedrich Schiller)
Natürlich bewegen wir uns in unserer Alltäglichkeit scheinbar sicher in den uns bekannten Gesetzlichkeiten des Raumes und der Zeit. So lange wir leben, wissen wir meist, wo wir wann sein werden. Das Gefühl der Sicherheit wird uns durch eine allgemeine Berechenbarkeit dieser Abläufe vermittelt. Wir wissen, um welche Uhrzeit unser Tag beginnt und endet, wann unsere Verabredungen verbindlich sind, oder wieviel Zeit es unter normalen Umständen braucht, die Strecken zu überwinden, die uns von unseren Zielen trennt.
Dennoch, wir können der Relativität unserer Vorstellungen von Raum und Zeit natürlich nicht wirklich entgehen. Eine kurzer Flug mit dem Flugzeug kann bei entsprechenden Turbulenzen lange werden. Ein Tag des Fastens kann je nach innerer Einstellung kurzweilig sein, aber auch endlos werden. Der Weg zur Moschee, der für uns als junger Mann ein paar schnelle Schritte war, kann mit wachsendem Alter spürbar länger werden.
Die Fragwürdigkeit von Raum und Zeit in einem größeren Sinne erlebte ich selbst auf meiner ersten Pilgerreise nach Mekka, wo das Kreisen um die Kaaba keinen Bezug zum konkreten Punkt in der Historie, in der man sich eigentlich befindet, mehr zulässt.
Im Ramadan setzen sich diese Erfahrungen fort. Die Offenbarung, um die sich der ganze Monat dreht, ist unsere Verbindung zum ganz Anderen, das sich unseren gewohnten Definitionen von Raum und Zeit vollständig verschließt. Die Zeit des Ramadans berechnen wir nicht mit unserer Uhr, sondern wird uns als kosmisches Geschehen vorgegeben. Der Fastenmonat entzieht uns von der gewaltigen Sogwirkung, die das moderne technische Leben heute entfaltet.
Wer noch frei genug ist, dem Ritus zu folgen, stellt dabei alle Abläufe, die uns der technisch geprägte Alltag ansonsten vorgibt, auf den Kopf. Die äußere Welt, die heute mit aller Gewalt nach Aufmerksamkeit schreit, wird schlicht weniger bedeutsam. „Der Verzicht nimmt nicht, er gibt“ heißt es bei einem Philosophen, über diesen immer wieder notwendigen und sinnstiftenden Tausch der Perspektiven.
Aus Sicht der Schöpfung muss die Zeit, die uns Sterblichen manchmal so schmerzlich in den Händen zerrinnt, etwas beinahe spielerisches haben. Wir erleben dies auf unseren Reisen, wo sich das Schicksal ganzer Generationen in den kulturellen Landschaften spiegeln. In der Sure Yusuf (12:109) wird an die Bedeutung dieser Reisen, die dem Vergegenwärtigen anderer geschichtlicher Kreisläufe dienen, eindrücklich erinnert.
Im Juli war ich auf zwei Reisen im Süden und Norden Europas. Zum Einen habe ich Granada besucht, also den Ort, wo ich selbst vor über 20 Jahren Muslim wurde, zum Anderen die großartige Landschaft Schwedens. An beiden Orten zeigen sich die Motive der Zeit im Raum. In Granada hat eine tapfere Generation spanischer Muslime wieder eine neue Moschee gebaut, die einmalig schön im Albaycin, gegenüber der prächtigen, aber verlassenen Alhambra gelegen ist. Am Vättersee in Schweden staunte ich dagegen in einem Nationalpark über geologische Formationen, die in Millionen Jahren entstanden sind.