Reisen bildet, heißt es ja gemeinhin. Und es stimmt, es gibt bestimmte Orte, die man einfach besuchen muss, um ein Phänomen ganz für sich zu erschließen. So gehört die Reise nach Mekkah zu unserer ganzheitlichen Erfahrung des „in-der-Welt-seins“. Um den Islam in Europa zu verstehen, muss man – neben einem Besuch Andalusiens oder dem Weimar Goethes – auch den Balkan bereisen. In Orten wie Skopje, Sarajevo oder Prizren kann man die traditionelle Beheimatung des Islam in Europa natürlich besser verstehen, als in einem „Kulturzentrum“ in einem abgelegenen deutschen Industriegebiet.
In Mazedonien lassen sich Perspektiven europäischer Muslime gut nachvollziehen. Natürlich gibt es auch einige Besonderheiten. So sind hier die Amerikaner, die als Beschützer vor dem slawischen Nationalismus gelten, von den Muslimen gerne im Lande gesehen. Die Muslime auf dem Balkan sind nach Jahren der Verfolgung und ethnischen Säuberung glücklicherweise keiner Racheideologie verfallen. Trotz der schmerzlichen Erfahrungen, gab und gibt es keinen Gelehrten auf dem Balkan, der, auch in größter Bedrängnis, etwa „Selbstmordattentate“ als legitim befunden hätte.
Nach Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft, in der es gefährlich war, eine Moschee zu besuchen, ist die junge mazedonische Demokratie für viele Muslime auch eine Hoffnung für die langfristige Befreiung der islamischen Lebenspraxis. An Orten wie Tetovo hatten kommunistische Planierraupen osmanische Lebenskunst und großartige Architektur plattgemacht. Die Zerstörung trennte die Moscheeanlage von ihrem natürlichen Kontext. Die Nachbarschaft von Moschee, sozialen Dienstleistungen und dem lokalen Markt wurde vom „kommunistischen Realismus und Zentralismus“ gewaltsam aufgehoben.
Die sehenswerte Altstadt Skopjes, die langsam wieder renoviert wird, könnte bald wieder ein Beispiel und ein Vorbild für harmonische, islamisch geprägte Stadtarchitektur sein. Hier lassen sich nach wie vor die praktischen, architektonischen Voraussetzungen für maßvolles islamisches Leben studieren. Vor allem die wichtige Tradition der Armenspeisung hat hier wieder ihre Berechtigung – das Land ist arm und der ungezügelte Kapitalismus gefährdet, wie überall in der Welt – die Mittelschicht.
In Mavrovo, in den Bergen Mazedoniens, zeigt mir der orthodoxe Christ Aleksandar Krzhakovski seine Heimat. In den Krisenzeiten Mazedoniens im Jahr 2001 hat er unter ständiger Lebensgefahr mit muslimischen Freunden die Lebensmittelversorgung in der ganzen Region organisiert. In beinahe 2000m Höhe liegt sein altes Dorf, eine kleine christliche Enklave, mitten im mächtigen, ehemaligen osmanischen Reich. Sein altes Dorf wurde in der osmanischen Zeit von keinem Muslim behelligt und führte, wie das kleine Dorfmuseum belegt, über Jahrhunderte seine so eigenartige wie unabhängige Existenz.