Ein älterer Anatolier, Arbeiter in der lokalen Fabrik und in seiner Freizeit Imam in der örtlichen Moschee, wird nach einem Moscheebesuch vor laufender Kamera gefragt, ob für ihn das Grundgesetz oder der Koran wichtiger sei – der Anatolier erklärt: „Der Koran!“ „Ist A. ein Verfassungsfeind?“, fragt nun die lokale Zeitung.
Vor einem UEFA-Cup Spiel in H werden Hooligans der Heimmannschaft präventiv in Haft genommen. Ein Abgeordneter fragt nach Terrorwarnungen, warum diese Maßnahme nicht auch künftig für bekannte Gefährder in der Stadt als „Präventionshaft“ möglich sei. Kritiker fragen darauf: „Haben wir bald ein Guantanamo auf Sylt?“
Im Bundesland X wird ein Imam, gleichzeitig V-Mann des Verfassungsschutzes, für Hassreden in einem Zentrum eingesetzt, um radikale Muslime anzuziehen und dann besser beobachten zu können. Der Mann baut eine einschlägige Szene auf. Einige der Mitglieder dieser Zirkel üben später tatsächlich Terroranschläge aus. Politische Beobachter fragen nun „Wer trägt die Verantwortung?“
Diese und viele andere Beispiele zeigen, mit welchen Szenarien der moderne Staat heute umgehen muss oder bereits ohne größere Not umgeht. Die Verfassung ist unter Druck. Auf der einen Seite der gewaltige „Coup de Banque“ des Finanzsystems, der die soziale Kluft spürbar wachsen lässt, auf der anderen Seite die drohenden Untaten radikaler Extremisten. Wie verändert diese neue Sicherheitslage den Staat?
Nach einigen in schwarzem Trauerflor produzierten Ausgaben des „Spiegel“ zur Frage nach dem Islam in Deutschland, erscheint nun ein neues „Spiegel“-Buch – ebenfalls ganz in schwarz – zu einem verwandten Thema. „Der Globale Polizeistaat“ ist dabei kein Beitrag zur Verschwörungstheorie, sondern einfach ein intelligent geschriebenes und deswegen sehr lesenswertes Sachbuch. Thomas Darnstädt, Redakteur beim „Spiegel“ und von Haus aus Jurist, erklärt in einer nüchternen Bestandsaufnahme die neue Lage rund um den permanent möglichen Ausnahmezustand. Darnstädt arbeitet präzise heraus, was es heißen würde, wenn das Recht weiter politisiert wird und der Staat unbefragt Menschen – Carl Schmitt lässt grüßen – zu „rechtlosen“ Feinden erklärt.
Der Autor sieht dabei in der berühmten Freund-Feind Unterscheidung Carl Schmitts und der Dynamik seiner politischen Feindlogik keine Lösung für den Umgang mit den aktuellen juristischen Problemen. Darnstädt argumentiert glasklar:
„Feindschaft entsteht nicht aufgrund überprüfbarer Ereignisse, sondern kraft politischer Dezision, hinter der sich nichts anderes verbirgt als die populistische Antwort der Politik auf die Angst. Doch wenn wir Rechtsfolgen an die Angst vor dem Feind knüpfen, begeben wir uns nicht nur in die Hand von Diktatoren, wir begeben uns, schlimmer noch, in einen immerwährenden Krieg“.
Die Feindlogik führt also hier und anderswo schlicht in das Kriegsrecht. Auf Dauer verlieren so und im globalen Maßstab bereits immer mehr BürgerInnen ihren Status als Rechtssubjekte. Der Rechtsstaat selbst zerbricht an der Auflösung von Innen und Außen und der Ununterscheidbarkeit von Krieg und Frieden.
Darnstädt zeigt die innenpolitische Bedrohungslage, wenn dem Bürger Sicherheit als Grundrecht aufgezwungen wird und gleichzeitig die Freiheitsrechte immer mehr eingeschränkt werden. Es verändert dabei, so Darnstädt eindringlich, nicht nur das Strafrecht, wenn Sanktionen an die Hypothese „künftiger Gefährlichkeit“ geknüpft werden und im Innern unseres Landes bald eine Art neues „Polizeirecht“ zur Gefahrenabwehr gilt.
Das Buch Darnstädts ist ein Muss für alle, die aufmerksam und mit Sorge den schleichenden Wesenswandel des Staates verfolgen und die anstehenden Grundfragen vertiefen wollen. Darnstädt ruft dabei nach einer Stärkung des Rechts, nicht nur nach dem starken Staat, und eröffnet so, eine – hoffentlich – breit angelegte gesellschaftliche Debatte hierzulande.
Besonders Muslime dürften an dem Thema interessiert sein, werden doch immer öfter ihre Moscheen als angebliche Rückzugsorte radikaler Menschen beschrieben und längst mehr oder weniger subtil überwacht. Der allgemeine Feindbegriff des „Islamismus“ nivelliert allerdings die unterschiedlichsten Fälle. Man sollte nicht vergessen, dass zum Beispiel zwischen „orthodox praktizierenden Muslimen“ und der ignoranten Privatheit der Terroristen ein tiefer Graben verläuft. Warum sollte man diesen Graben begrifflich einebnen, statt ihn zu vertiefen?
Die authentische Lehre des Islam vermittelt, nach dem Abgrund der Terroranschläge, in der absoluten Mehrheit aller Moscheegemeinden das Verbot des Terrorismus und seiner den Menschen und den Schöpfer verachtenden Selbstmordattentate. Der Ruf nach der Stärkung des Rechts betrifft im diesem Sinne auch die Muslime in aller Welt. Wie jedes echte Recht stellt sich auch das islamische Recht der politischen Ideologie entgegen.
Thomas Darnstädt, Der globale Polizeistaat, DVA Spiegel-Buchverlag