„Die Sklaverei läßt sich bedeutend steigern, indem man ihr den Anschein der Freiheit gewährt.“ (Ernst Jünger)
Im Grunde ist es ein gigantischer Feldversuch: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht der moderne Mensch einer global vernetzten Finanz- und Sicherheitstechnik gegenüber. Es stellt sich die Frage nach der Beherrschbarkeit des Apparates und der Möglichkeit von Reform und Mäßigung seiner Systeme. In der Frage der Technik stehen sich positivistische und kritische Haltungen gegenüber.
Jede Zeit hat ihre Prüfungen. Die gleiche Politik, die – schon aus historischen Gründen – über Jahrzehnte die Zivilcourage als Kern der demokratischen Lehre angemahnt hat, weicht heute dem realen Praxistest rund um das Phänomen Snowden aus. In dem Maß, wie sich die Rhetorik um Demokratie und Freiheit steigert, fehlt es an konkreten Beispielen, die das unbequeme Eintreten für Bürgerrechte auch anschaulich machen. Ein Zufall?
In den zwei großen Problemfeldern unserer Zeit hat die überforderte Politik gleich ein doppeltes Kompetenzproblem. In der ARD-„Bankenstory“ bringen es ein ehemaliger und ein aktueller Finanzminister auf den Punkt. Der lange gescholtene Lafontaine gibt in der Dokumentation als eigentlichen Grund für seinen Rückzug aus dem Finanzministerium an, dass die „Wall Street“ mit Hilfe der vielbesungenen Märkte die Welt der Ökonomie regiert habe. Schäuble wiederum erklärt unfreiwillig den andauernden Ernst der Lage, als er die globale Finanzwirtschaft auffordert, doch bitte künftig Produkte zu schaffen, die die Bankenaufsicht auch verstehen könne.
Im Bereich der „Sicherheit“ agieren heute der öffentliche und der private Verfassungsschutz; Geheimdienste mit ideellen und kommerziellen Einbindungen. Die ungeheure Zahl der offiziellen, inoffiziellen und industriellen Sicherheitsmitarbeiter wächst stetig an. Unser Bundesinnenminister wirkt bei der „Überwachung“ der internationalen Geheimdienste wie ein Mann, der – mit einer Taschenlampe ausgerüstet – einen Dschungel ausleuchten soll.
Mit dem Begriff des „Supergundrechtes“ Sicherheit zeigt sich die philosophische Komponente des Ministers. Er setzt in seiner Wertphilosophie diesen Begriff notwendigerweise absolut, damit er ihn gegenüber anderen Werten – notfalls auch illegal –durchsetzen kann. Das Recht wird so bei der Terrorbekämpfung zu einer untergeordneten Größe. Für diese „Tyrannei der Werte“ gilt die blinde Drohne – die den Gegner unterschiedslos eliminiert – als äußeres Symbol.
Für viele Bürger, die sich innerlich aus der Politik verabschiedet haben, mag dies alles kein Problem sein. Dieser Art Bürger wird auch nicht auffallen, dass unser politisches Koordinatensystem eigentlich nie Verantwortung übernimmt für das, was ist, sondern nur für das, was sein soll. Ein – wie wir Gläubige wissen – moralischer Luxus, der uns natürlich nicht gestattet wird.
Die Folgen der Sicherheitspolitik für das gesellschaftliche Klima sind kaum absehbar. Die Mathematik der Sicherheitsüberwachung hat längst eine eigene Logik. Auch wenn niemand in Deutschland ein Terroranschlag im Sinn hat, wird jedes technische Verfahren dennoch tausende Verdächtige produzieren. Es wird natürlich bedauerliche Fehler geben. Man spricht in Fachkreisen davon, dass auf einen real Verdächtigen tausende Unschuldige ins Visier geraten.
Uns Muslimen, die wir immer wieder mit unbestimmten Begriffen als „Islamisten“ oder „Moscheebesucher“ markiert werden und zudem mit einschlägigen „Assoziationsketten“ verknüpft sind, ist die Gefahr durchaus bewusst. Viele Muslime lernen bereits mit Sorgfalt eine defensive Sprache der politischen Korrektheit; nur aus Angst, sie könnten in ein Raster fallen. Mit Sorgen lesen wir parallel zu den „akademischen“ Debatten Berichte, die uns in den Medien aufklären, dass gefährliche Terrorgruppen immer wieder von Diensten unterwandert werden und V-Männer, die zur Gewalt aufrufen, inzwischen eine fragwürdige Tradition haben.
Heute sind alte Männer, Humoristen und Künstler diejenigen, die der Wahrheit ohne die Verbindlichkeiten der Taktik eine Stimme geben.
Schon 2009 ist mir der Performance-Künstler Christoph Faulhaber mit einer ungewöhnlichen Performance aufgefallen. Ausgerüstet mit einer Haushaltsleiter begibt er sich an den Zaun der BND-Baustelle in Berlin und wirft einen Blick auf die anderen Seite. Faulhaber filmt sogar mit seinem Handy. Aufgeregte Wachmänner stellen ihn nach wenigen Sekunden zur Rede, die Polizei wird gerufen, er wird abgeführt, verhaftet, durchsucht. Das Problem bei der „Bewertung” der Aktion: Es gibt kein deutsches Gesetz, dass sein Verhalten verbietet.
Dieser Mut über den Zaun zu schauen, ist seltener geworden. Als selbsternannter „Mr. Security“ hat Faulhaber in vielen Aktionen den allgemeinen Sicherheitswahn und das daraus resultierende Klima immer wieder bloßgestellt.