Die Ermüdung an den Vorgängen des Politischen ist in aller Munde. Aber, woran liegt das?
Ist es der vielbesungene Parteienstaat, der konsequent die Durchschnittlichkeit befördert und mit dem der generelle Mangel an außergewöhnlichen politischen Charakteren verbunden wird oder ist es nur unsere eigene Bequemlichkeit, die uns als Aktive aus dem Spektakel des Politikbetriebes herauszieht? Natürlich sollten wir in Betracht ziehen, dass es noch nicht genügt, als unbeteiligte Beobachter die Mängel des Politischen zu beklagen, ohne dann erwarten zu müssen, dass durch den eigenen Verzicht auf Verantwortung auch menschliche Defizite entstehen.
Natürlich, man könnte auch mit einiger Berechtigung sagen, zum Glück eignet sich das technische Zeitalter weniger als je zuvor zu einfachen Freund-Feind Entscheidungen. Wollen wir etwa vorschnell beklagen, dass der schnellen Mobilisierung auch Grenzen gesetzt sind? Erwarten wir nicht viel zu viel, erregt es nicht sogar unser Misstrauen, wenn uns statt mühsamen Entscheidungsfindungen einfache Lösungen präsentiert werden?
Auch wenn wir einsehen, dass alle Ideologie Vereinfachung ist, bleibt der Mensch das Wesen, das überzeugende Antworten auf seine Lage sucht. Die meisten Überzeugungen, die uns angeboten werden, sind als Resultat der Bewertung komplexer Sachverhalte im Grunde nichts Anderes als Glaubenssätze. Das Politische wird religiöser, die Religion, weil sie sich geradezu ausdrücklich auf Glaubenssätze beruft, politischer.
Zu den Sätzen eines Politikers, die wir nie hören, gehört: „Ich weiß es nicht“. Es ist eine Zumutung, die junge Politiker aller Parteien professionell zu verbergen wissen. Das Bekenntnis „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ist natürlicherweise eine Sache des Alters und Resultat beruflicher Erfahrung. Ehrlich insoweit der CSU-Kopf Peter Gauweiler, der inzwischen verehrt wird, weil er es ihm als einfachem Abgeordnetem glaubwürdig gelungen ist, hin und wieder die eigene Meinung von der Mehrheitsmeinung abzugrenzen.
Gauweiler ist nicht nur ein brillanter Redner, sondern auch ein Mann des Rechts, ein Politiker, der die politische Mechanik mit Klagen in Karlsruhe stört, notfalls auch mit bayrischer Bauernschläue agiert, so, wenn er von der Bundesregierung genial einfach wissen will, wo eigentlich genau die deutschen Goldreserven lagern.
Im Gegensatz zum aktuellen Wirtschaftsminister, der seiner Politik erst kurz vor der eigenen Insolvenz Schärfe verleiht, sind seine kritischen Anmerkungen zur EU-Politik glaubwürdig, weil sie in der politischen Praxis immer mit Engagement, bis hin zum bewusst gewählten Risiko des eigenen Machtverlustes einhergingen.
Es wundert nicht, dass sich wahre politische Größe auch Zweifel leisten kann. Im WELT-Interview erklärt der „Intellektuelle in Lederhosen“ den Charme des Zweifelns und die Grenzen des eigenen Machtradius: „Wenn alle Abgeordneten plötzlich sagen: wir wissen, welche Energiepolitik richtig ist, müsste ich sagen: „Ich weiß es wirklich nicht“. Wenn das die Wahrheit ist, wird sie mir kein Zuhörer übel nehmen“.
Kein Zufall scheint mir, dass der politische Charakter, der uns im Gemeinwesen anzieht, sich längst den alten Beschreibungen zwischen Links und Rechts entzieht. Die Mitte, die Möglichkeit aus allen Lagern zu lernen, die Quintessenz wird wichtiger als das Extrem.
Schon als Schüler war ich als Sohn eines engagierten lokalen Kommunalpolitikers an politischen Vorgängen interessiert. Die lokale Bühne war von scharf vorgetragenen Gegensätzen geprägt, zwei unabhängige lokale Zeitungen berichteten seitenlang über die Debatten des Stadtrates. Wehe, wenn die örtliche CDU für die Stadthalle, oder die SPD dagegen war. Jedes Vorhaben entfachte die Finessen des Politischen. Später, nach dem Einzug ganzer Heerscharen ortsfremder Technokraten in die Provinz, beobachtete ich die alten, inzwischen alt gewordenen „Feinde“ und ausgediente politische Pensionäre, beinahe wehmütig verbunden bei ihren Zusammentreffen.
Der Intendant des Berliner Ensembles, Peymann, hat in einem Interview erklärt, dass es die Bühne sei, die das Volk politisch bilde.
Ich erinnerte mich an diesen Satz, nachdem ich am Montag die Gelegenheit hatte, das Burgtheater in Wien zu besuchen. Gespielt wurde eine von Schiller überarbeitete Komödie, „Die Parasiten“. Das mitreißende Spiel der Schauspieler, die komplizierten Fragen um die Ränkespiele der Macht, das Niveau der Sprache bis hin zu all den Sätzen, die tief in uns hineinfallen – all dies macht das Theater tatsächlich zur Bildungseinrichtung. Vermutlich kann man ein Volk, das die Fragen der klassischen Literatur nachzuvollziehen vermag, schlicht weniger einfach manipulieren.
Wo sind diese Bühnen heute? Wer kann sie bilden? Da es kein Zurück gibt, ist man versucht, auch neue Formen des Theaters in Betracht zu ziehen. Fernsehen, Kino, Internet bewegt die Massen, steht aber auch unter Verdacht, den Charakter weniger zu bilden, als eher zu verformen. Immerhin, die Welt der Technik erlaubt uns täglich über den Tellerrand zu blicken und ganz andere Perspektiven zur Kenntnis zu nehmen.
In der ZEIT gab es ein interessantes Interview mit Arundhati Roy, die ihre politischen Lehren nicht nur aus einer anderen Region, sondern auch aus weit dramatischeren Umständen, wie wir es gewohnt sind, zieht. Ihr Blick auf den Westen konzentriert sich nicht auf einen angeblichen Kampf der Kulturen, von dem wir betroffen sein sollen, sondern sie beschreibt vielmehr die Mitverantwortung am globalen „Krieg zwischen Arm und Reich“, der – so die Schriftstellerin, unsere Zeit ausmacht. Roy trifft in der Außensicht auf uns zielsicher den Punkt, warum es uns dabei im Westen gelingt, uns geschickt dieser Verantwortung zu entziehen:
„Der Westen denkt nicht in Zusammenhängen. Er denkt in getrennten Ressorts. Der Krieg gegen den Terror ist ein Ressort. Die Wirtschaft ein anderes. Die Demokratie ein drittes. Aber man muss dann alles zusammen sehen. Wir erledigen alle brav unsere Ressortarbeiten und stellen dann erstaunt fest, dass wir ohne Bienen, die Blüten befruchten, nicht überleben können“.
Nur eine ganzheitliche Sicht ist in der Lage, auch eine Gesamtverantwortung in Betracht zu ziehen. Zweifellos steht für Roy, das Bestreben des Menschen, wo immer er lebt, das Politische aus den Fängen der Finanzinteressen zu befreien, im Mittelpunkt der politischen Aufgaben. Interessant wird sein, an welchen Phänomenen wir die Fortschritte dieser Bemühungen fest machen werden. Neben den gewohnten Orten, wie dem freien Theater, könnte hier auch das Qualität des Geldes, das wir benutzen, eine Rolle spielen, und neben der freien Rede der freie Marktplatz als Symbol der Rückkehr des Politischen angesehen werden.