Die Financial Times ist eine nüchterne, aufgeklärte Zeitung. Dies zeigt auch die nachfolgende Kolumne „Wenn die Dollar-Symbiose endet“ von Lucas Zeise. Lucas Zeise ist Finanzkolumnist der FTD. Zeise beschreibt in seiner neuen Kolumne neue Gipfel der Irrationalität: Die Stabilität des Weltfinanzsystems hängt von Entscheidungen der Kommunistischen Partei Chinas ab. Das Dilemma des Westens und des Kapitalismus lässt sich kaum noch verbergen: Ja, es gab die Aufklärung, allerdings nur im politischen Feld, nicht in der Ökonomie.
Hier die Kolumne:
Die Finanzminister haben sich vom Optimismus der Zentralbanker anstecken lassen. Gemeinsam ist ihnen auf der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds eine zuversichtliche Erklärung über den Zustand von Wirtschaft und Finanzen auf der Welt geglückt.
Sie hatten auch eine Delegation aus der Volksrepublik China eingeladen. Denn die G7-Finanzverantwortlichen wissen, dass in Peking der Schlüssel für die Entwicklung der Weltfinanzen und damit auch der Weltwirtschaft liegt. Wie von den Ministern der alten Industriestaaten gewünscht, hat denn auch der Chef der People’s Bank of China, Zhou Xiaochuan, fest versprochen, irgendwann – aber ziemlich bald – zu einem flexiblen Wechselkursregime zum Dollar überzugehen. Wann genau, ließ er offen. Das offizielle Kommuniqué spricht wie schon vor einem Jahr in Dubai davon, dass mehr Flexibilität der asiatischen Währungen erwünscht sei.
Währungssystems auf dem Weg zum Crash
Die Anbindung der chinesischen Währung an den Dollar ist zum Eckpunkt eines internationalen Währungssystems geworden, das stabil wirkt, aber auf einen Crash zutreibt. Die Triebkraft für die sich aufbauenden Spannungen liegt in den USA, deren Verschuldung gegenüber dem Rest der Welt immer schneller wächst. Die Sollbruchstelle im System dürfte in China liegen. Der sagenhafte Investitions- und Bau-Boom dürfte bald kollabieren.
Der Dollar ist seit Anfang des Jahres entgegen der allgemeinen Erwartung nicht weiter abgerutscht. Das Leistungsbilanzdefizit der USA hat sich zwar noch ausgeweitet. Aber es scheint niemanden mehr zu beunruhigen. Vor einem Jahr hatten die Finanzminister und Notenbanker auf ihrer Tagung in Dubai sich noch offiziell Sorgen darüber gemacht. Sie wollten erreichen, dass der Dollar nicht abstürzt, sondern langsam billiger wird. Sie wollten außerdem, dass er nicht nur gegenüber dem Euro, sondern vor allem gegenüber den asiatischen Währungen abwertet.
Die Sorgen von Dubai
Erreicht wurde das Gegenteil. Der Dollar verlor zwischen September 2003 und dem Jahreswechsel 2003/04 vor allem gegenüber dem Euro. Gegenüber dem Yen wurde er trotz massiver Yen-Verkäufe der Bank von Japan etwas schwächer. Die Relation zur chinesischen Währung blieb unverändert. Schließlich ist Chinas Währung fest an den Dollar gekoppelt.
Erst Anfang 2004 setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Asiaten schier unbegrenzt Dollar aufzukaufen bereit sind, um ihre Währungen niedrig zu halten. Seitdem herrscht auch bei der Dollar-Euro-Relation Ruhe. Und die Finanzmärkte verfügen über ein neues Stabilitätsmodell. Im seinem Kern steht die Zentralbank Chinas. Sie kauft alle Dollar auf, die sie kriegen kann. Sie erreicht damit nicht nur, dass der Dollar stabil bleibt, sondern auch, dass die Kapitalmarktzinsen niedrig bleiben. Das macht es den Amerikanern leicht, weiter Geld auszugeben, die Wirtschaft sowie die Importe auf Wachstumskurs zu halten – und die Defizite in der Handels- und Leistungsbilanz massiv auszuweiten.
Schöne Rechtfertigungstheorie
Um diese schönen Zustände zu rechtfertigen, ist unter Investmentbankern eine Theorie entstanden, die den labilen Zustand der internationalen Finanzbeziehungen für dauerhaft und quasi natürlich erklärt. Aus der Anbindung vieler asiatischer Währungen an den Dollar wird einfach ein gemeinsamer Dollar-Währungsraum.
Dieser Raum besteht, vereinfacht gesprochen, aus zwei Regionen. Die eine, vornehmlich China, produziert, investiert und wächst, was das Zeug hält, und entwickelt sich so zum Gläubiger. Die andere Region, die USA, konsumiert und hält so den Absatz der Waren produzierenden Region in Schwung. Zur Finanzierung ihres Konsums (und damit ein paar Kriege geführt werden können) werden die Bürger der zweiten Region mit billigem Geld der eigenen Notenbank versorgt. Das reicht nicht, also finanziert Region eins auch das wachsende Defizit von Region zwei.
In diesem realitätsnahen Modell fließt kein Dollar nach draußen. Das Leistungsdefizit der USA wird ganz und gern von China übernommen. Eine Dollar-Abwertung ist nicht nötig, noch entsteht sie spontan durch einen Angebotsüberhang. Tatsächlich beschreibt das Modell ganz gut, warum an den Devisenmärkten in den letzten Monaten Ruhe herrschte. Überschüssige Dollar kaufte die chinesische Notenbank, per Saldo gab es am Devisenmarkt keinen Dollar-Überhang mehr.
Das Problem der Weltwirtschaft sind die USA. Das Leistungsbilanzdefizit dürfte nach Kalkulationen von Goldman Sachs in diesem Jahr fast sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Ende 2003 waren erst 4,8 Prozent. Das heißt, trotz der Dollar-Korrektur in der zweiten Hälfte 2003 hat sich das Problem verschärft. Es hat eine Größenordnung erreicht, die die Verschuldung immer schneller nach oben treibt. Die Nettoverschuldung dürfte Ende dieses Jahres 23 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachen und nach aktueller Entwicklung bis 2008 auf 40 bis 50 Prozent steigen. So etwas ist nicht durchzuhalten, selbst für ein Land wie die USA nicht.
Es wird krachen, und zwar ziemlich bald. Der Dollar wird fallen, wenn die chinesische Regierung ihr Versprechen wahr macht, ihre Währung freigibt und damit die angenehme Dollar-Symbiose mit den USA beendet.