Am Wochenende hielt ich in Köln ein zweiteiliges Seminar zur „Aktualität Goethes“ und zu einer „aktualisierten Zinsdebatte“.
Kurz zuvor hatte Papst Franziskus in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Karlspreises – unter anderem war auch der Präsident der europäischen Zentralbank anwesend – wieder die grundsätzliche Frage ins Spiel gebracht: Wie stehen wir Gläubigen zur Trennung von Kapital und Verantwortung? Franziskus plädiert für eine echte Marktwirtschaft, erwähnt auch die „Zinsfrage“ und kritisiert letztendlich die Ethik der modernen Geldproduktion. Es wäre interessant zu sehen, ob auf Grundlage dieser Rede eventuell ein Dialog von Muslimen, Christen und Juden zur aktuellen Geldpolitik entstehen kann.
Foto: Bundesarchiv, Bild 102-12023 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5480279
Neu sind diese Fragen nicht. Es gehört zur Aktualität Goethes, dass er sich bereits als Finanzminister in Weimar auch geldpolitischen Fragen stellt und dabei der klassischen Definition von Geld folgt, die verlangt, dass Zahlungsmittel einen „innenwohnenden Wert“ haben sollten. Goethe verfolgt interessiert das Phänomen der neuen „Zettelbanken“ und ahnt bereits früh ihre epochale Kraft.
Im Faust II problematisiert Goethe schlussendlich das moderne Verhältnis von Macht und Geldproduktion: „Der Zettel hier ist tausend Kronen wert. Ihm liegt gesichert als gewisses Pfand, Unzahl vergrabenen Guts im Kaiserland. Nun ist gesorgt damit der reichste Schatz, Sogleich gehoben, diese zum Ersatz“
2012 hatte der Bundesbankchef Weidmann die Aktualität der Goetheschen Geldphilosophie bestätigt und die magische Macht der Banken wie folgt beschrieben: „Notenbanken schaffen Geld, indem sie Geschäftsbanken gegen Sicherheiten Kredite gewähren oder ihnen Aktiva wie zum Beispiel Anleihen abkaufen. Die Finanzkraft einer Notenbank ist dabei prinzipiell unbegrenzt, da sich eine Notenbank das Geld, das sie vergibt oder mit dem sie bezahlt vorher nicht etwa beschaffen muss, sondern es quasi aus dem Nichts erschaffen kann.“
In meinem Vortrag zu diesem Thema habe ich die Symbiose von Banken und Staaten als eine Zäsur für die Zinsfrage dargestellt. Durch das Phänomen der (spätestens seit dem Ende von Bretton Woods im Jahre 1971) maßlosen Produktion von Papiergeld stellt sich die – wie ich es nenne – strukturelle Zinsfrage heute völlig neu. Sie hat mit der Geschichte der Zinsfrage, wie wir sie aus dem Mittelalter kennen, unter den heutigen Bedingungen, nur wenig zu tun.
Die Nationalsozialisten hatten die Lutherische Polemik gegen die „Wucherer“ für ihre menschenverachtende Rhetorik und antisemitische Ideologie genutzt. Heute ist die Zinsnahme eine Technik, die uns völlig losgelöst von Religion oder Glaube alle und überall betrifft. Sie ist insbesondere integrierter Teil der „islamischen“ Welt.
Ein Blick auf die aktuelle Zinspolitik genügt, um ihre direkte Folge auf das Schicksal von Staatshaushalten oder aber auf die Zukunft der Renten festzustellen. Natürlich ist die aktuelle Niedrigzinspolitik dabei keine vorsichtige Annäherung an das islamische Modell, sondern Grundlage für eine gefährliche Blasenwirtschaft. Während wir uns zu Recht über die islamfeindliche Politik der AfD empören, geht – relativ unbemerkt – gerade die Ära der Pensionskassen und sicheren Renten zu Ende.
In der Diskussion ging es dann auch darum, ob eine „Bank“ überhaupt eine Konfession repräsentieren kann, ob es heute Alternativen gibt und inwieweit im Rahmen der globalen Geldpolitik überhaupt so etwas wie ein „ethisches Banking“ gelingen kann.
Als Muslime ist hier auch die Debatte mit der Österreichischen Schule und den Gesellianern spannend. In diesen Schulen finden wir eine Wissenschaft, die die Logik des Zentralbankensystems hinterfragt und – im Falle der Gesellianer – auch die Zinsfrage neu problematisiert. Wenn wir unser Verständnis über „Riba“ aktualisieren wollen, müssen wir uns gerade mit diesen Schulen beschäftigen.
Natürlich gibt es nach wie vor Argumente, die den Zins als positiv oder als unproblematisch darstellen, wie hier zum Beispiel das nachfolgende Argument Frank Schäfflers: „Die Zinskritiker verkennen die wichtige Funktion des Zinses in einer Marktwirtschaft. In der idealen Welt ist der Zins der Preis für den Verzicht im Heute, um im Morgen investieren oder konsumieren zu können. Dessen Höhe drückt zudem das Ausfallrisiko aus. Gerade diese Korrekturgröße schalten die Notenbanken durch ihre Geldpolitik aus.“
Hier gilt es zu zeigen, dass das islamische Wirtschaftsmodell andere Methoden hat (zum Beispiel unsere Vertragsmodelle), den Umlauf von Geld zu sichern und gleichzeitig die Verantwortung des Kapitalgebers in der Marktwirtschaft betont.
Die Relevanz dieser Fragen zeigt eine nüchterne Bilanz auf Spiegel-Online, hier bezüglich der „Rettung“ Griechenlands: „So wurden mit 86,9 Milliarden Euro alte Schulden abgelöst, 52,3 Milliarden Euro gingen für Zinszahlungen drauf und 37,3 Milliarden Euro wurden für die Rekapitalisierung der griechischen Banken genutzt.“