Ich zitiere gerne einen Spruch von Rainer Maria Rilke, der einmal gesagt hat, dass man nur wisse, was Europa sei, wenn man einmal von Capri auf die amalfische Küste geblickt habe. Nachdem ich dem Rat des Dichters gefolgt bin, habe ich ihm natürlich Recht geben müssen. Zu einem weiteren Bild von Europa gehört aber natürlich auch der Besuch seiner Hauptstädte, sei es Sarajevo oder Madrid, Paris, London, und – natürlich auch Wien. Gerade an diesen geschichtsträchtigen Orten wird sich auch entscheiden, ob die Muslime als Fremdkörper oder als originärer Beitrag empfunden werden.
Ein Urteil über die in Europa lebenden Muslime kann man nicht vom Schreibtisch aus fällen. Die Organisation „EMU“ sucht immer wieder europäische Städte auf, um über das Verhältnis von Europa und dem Islam nachzudenken. Als europäische Muslime sehen wir in Europa nicht nur unsere Heimat, sondern auch die Inspirationsquelle unserer geschichtlichen Erfahrungen und in unserer muslimischen Verortung selbst, nichts anderes als eine erstaunliche Quintessenz des europäischen Denkens. Wer wissen will, was der Islam in Europa ist, kommt an diesen Reisen nach Südosteuropa, nach Andalusien oder Sizilien nicht vorbei.
Selbstredend ist den europäischen Muslimen ein Ressentiment gegen Europa gänzlich fremd. EMU, eine Stiftung, versammelt unterschiedliche Muslime aus Europa, teilweise auch mit Vorfahren, die nicht aus Europa stammen, die aber natürlich ebenso wie wir europäische Muslime sind. Die Identität eines Menschen, so unsere Logik, macht das Sprachvermögen aus. Wer eine europäische Sprache spricht und hier konstruktiv leben will, gehört dazu. Es ist wichtig, dass wir europäischen Muslime gut vernetzt sind und unsere Position zu Europa gemeinsam definieren.
Die Idee dieser Konferenz war, über die Lebenswirklichkeiten der Muslime in unseren europäischen Städten nachzudenken. Natürlich auch in den Städten, wo eine muslimische Präsenz erst seit Jahrzehnten besteht. Die Situation der Muslime in Moskau, Sofia oder Birmingham könnte ja kaum unterschiedlicher sein. Beeindruckend waren zum Beispiel in Wien die Schilderungen eines bulgarischen Muslims, der sich über die jahrzehntelangen Benachteiligungen der Muslime in dem EU-Land beklagte. Bis heute warten die Muslime in ganz Südosteuropa auf die Rückgabe ihrer alten Besitztümer.
Der englische Muslim Yusuf Adams – ein Architekt – berichtete mit einiger Begeisterung über das Bemühen in einer englischen Kleinstadt, aus einer eher schmucklosen Industrieanlage eine moderne Moschee mit Sozialeinrichtungen zu bilden. Die Moschee soll, ihrem alten Vorbild entsprechend, als sozialer Dienstleister in der Nachbarschaft wahrgenommen werden. Hierzu gehört in den Planungen des jungen Muslims auch der zivilisatorische Zusammenhang von Moschee und Markt. Wer dem jungen Mann zuhört, ahnt, dass die Begeisterung für das Projekt ansteckend sein wird.
Alle Teilnehmer waren sich am Jahrestag der Anschläge in New York einig, dass nur das positive Wirken in die Gesellschaft hinein vor neuen islamophoben Tendenzen schützen wird. Der türkische Minister für Europafragen, Egemen Bagis, hatte in seinem Festvortrag auf die Unmöglichkeit verwiesen, von einem „Islamischen“ Terrorismus zu sprechen. Gegen manchen Zweifel stellte Bagis klar, dass die Türkei nach wie vor die volle Zugehörigkeit zu Europa anstrebe. Hierzu gehört nach den Worten des Ministers auch die Solidarität der Türkei mit den in Europa lebenden Muslimen.